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Wenn die Gesetze, die ihr verkündet, gerecht sind, kann also
ein Mann, der irgendeine Frau oder ein Mädchen begehrt, diese auffordern lassen,
sich in einem der Häuser einzufinden, von denen ich gesprochen habe; und dort
wird sie ihm unter der Aufsicht der Matronen dieses Venustempels ausgeliefert
sein, um ihm demütig und gefügig in allem zu Willen zu sein, was seine Launen
ihm mit ihr zu treiben eingeben mögen, wie seltsam und absonderlich diese Launen
auch sein mögen; denn es gibt keine sexuelle Absonderlichkeit, die nicht natürlich
und von der Natur zugelassen wäre. Man müßte also nur noch eine Altersgrenze
bestimmen; nun behaupte ich aber, man kann das Alter nicht festlegen, ohne die
Freiheit dessen einzuschränken, der ein Mädchen dieses oder jenes Alters begehrt.
Wer das Recht hat, die Frucht eines Baumes zu essen, kann sie doch zweifellos
reif oder grün pflücken, wie es seinem Geschmack entspricht. Aber, wird man
einwenden, es gibt ein Alter, in dem der Verkehr mit einem Mann der Gesundheit
eines Mädchens schaden muß! Diese Überlegung ist wertlos; denn sobald man den
Anspruch auf Genuß zugibt, ist dieser Anspruch unabhängig
von den Auswirkungen des Genusses; von diesem Augenblick an ist es gleichgültig,
ob der Genuß dem Wesen, das genossen wird, zum Nutzen oder Schaden gereicht.
Habe ich nicht bereits bewiesen, daß es legal ist, den Willen einer Frau in
dieser Hinsicht zu brechen, und daß sie, sobald sie Begehren erregt, dieses
Begehren ohne jede Rücksicht auf ihr egoistisches Gefühl befriedigen muß? Das
gleiche gilt von der Gesundheit. Sobald die Rücksicht, die man auf sie nimmt,
die Lust dessen, der ein Mädchen begehrt und der das Recht hat, von ihm Besitz
zu ergreifen, vergehen läßt oder schwächt, wird diese Rücksicht hinfällig, weil
es sich in dieser Untersuchung keineswegs darum handelt, was das Wesen erdulden
mag, das von Natur und Gesetz dazu verurteilt ist, für einen Augenblick die
Gelüste eines andern zu befriedigen, sondern nur darum, was dem Begehrenden
zukommt. - Marquis de Sade, Die Philosophie
im Boudoir. Gifkendorf 1989 (zuerst ca. 1790)