Teilvaterschaft   Die ersten Worte Heins also waren vergeblich gewesen. Perrudja antwortete ganz von sich aus: »Ich lese den Satz: - Die Finsternis ist der unüberwindbare Raumzustand, in dem die Wellen des Lichtes existent werden können. - Es muß daraus folgen, sie ist allgegenwärtig. Symbol des ewigen Lebens, in dem es keine ewige Erscheinung gibt.« Hein nahm seine Stimme in Zucht. Er sagte sehr laut: »Es ist möglich, Perrudja, daß ich bald ein Kind bekommen werde.«

»Du ein Kind?« sagte Perrudja, »das Gebärenkönnen ist ein Recht der Frauen.«

»Es ist das Recht des Mannes, Väter sein zu können«, sagte Hein. »Du willst aussprechen, du hast eine Frau beschlafen«, sagte Perrudja.

Hein bewegte stumm den Kopf.

»Es ist alles vergänglich, außer die Finsternis«, sagte Perrudja, »wir werden einen neuen Abschnitt des römischen Rechtes miteinander durchkosten müssen.«

Hein blickte ihn unsicher fragend an. Seine Augen glommen grün auf.

»Der lendenlahme Ingenieur Haugeland wird Väter werden«, sagte Perrudja, »wenn es sein sollte, daß der Schoß dieser Königin empfangen hat. Du beginnst sehr selbstlos zu werden. Du hast die Arbeit für einen anderen gemacht. Das Geschlecht der Haugelands wird deinetwegen nicht aussterben. Hören wir die Weisheit der Weisesten: - Gebiert die Ehefrau ein Kind, so wird angenommen, daß der Ehemann Vater dieses Kindes ist. § 888. - Die Königin der Schönheit - der Taumel eurer Nächte gründet sich auf kein Gesetz-ist die Hausfrau des Ingenieurs. Sie wird die Stöße des jungen Stieres verschweigen; um das Gesetz nicht in Verlegenheit zu bringen. - Es rinden sich Belehrungen darüber, daß der Vater mit seinem Kinde verwandt ist und es nicht begatten darf. Es steht ihm das Züchtigungsrecht zu, sofern er nicht entmündigt. Er kann die Legitimität der Zeugung nur innerhalb sechs Monaten nach der Geburt des Kindes durch eine Meldung bezweifeln, die Beachtung findet. Er behält trotz seines Einspruchs gegen die Ehelichkeit die TeilVaterschaft, wenn er in der Zeit zwischen dem siebenten bis zwölften Monat vor der Geburt der Ehefrau beigewohnt hat. Und ein Attest die Reife der Frucht bescheinigt. Mit jüngeren, lebensunfähigen Kindern nimmt es das Gesetz nicht so genau. Denn es regelt das Leben, nicht das Jenseits.«

Hein sagte nichts. Er wagte nicht zu atmen. Teilvaterschaft. Er schämte sich. Es kam eine orthodoxe Meinung auf: er hätte mit diesem Ingenieur Haugeland etwas geteilt. Sein Erlebnis war halbiert. Er bereute, wenn es auch nicht deutlich wurde. Er wünschte (wenn es auch nicht deutlich wurde), mit dem Fleisch der Gymnasiasten Unzucht getrieben zu haben. Die soweit männlich waren, daß sie seine Wildheit ertragen hätten. Die ihn liebten. Wofür es Beweise gab. Er hatte sie am Strande niedergerungen. Die beiden gleichzeitig. An Händen und Füßen gefesselt mit Stricken. Ins Wasser geworfen. In den Fjord. Wo sie hätten ertrinken müssen, gefesselt. Doch er lud sie, schwimmend, sich auf den Rücken. Aus Lust an seiner Kraft hatte er drei Leben zusammengekoppelt, die eigene Existenz auf den dreifachen Wert vor einer glatten und grünen Hölle gebracht. Als die Halbhingerichteten wieder am Strande lagen, hatten sie gelacht. Das konnten nur Verliebte, die sich opfern wollten, vollbringen. Doch war die Königin schön und duftete an ihrer Haut.

»Weshalb«, fragte Perrudja, »hast du die Sechzehnjährige nicht in deine Arme genommen? Sie hatte ihr ganzes Dasein auf dich vorbereitet. Sie ist lieblich wie ein frischer Pfirsich. Und unberührt. Du hättest ein Paradies erbrochen.«

»Sie ist zu jung«, sagte Hein.

»Ist Jugend nicht die beste Tugend eines Menschen? Du bist ein Narr. Sie ist hochbebust. Sie ist betörend. Du hast etwas versäumt, Hein. Du hast deine Augen nicht offen gehalten.«

»Sie ist zu jung«, sagte Hein, »sie ist für Gymnasiasten geschaffen, die noch keine Kinder zeugen mögen.«

»Du glaubst, sie vermöchte noch nicht zu gebären«, fragte Perrudja, »es sind sehr unüberlegte Reden. Mir wird es heiß und kalt, abwechselnd, wenn ich daran denke, du hast sie verschmäht.« Hein antwortete nicht. Er begriff den Freund nicht. Das Kind hätte seine Wildheit nicht ertragen. Es hätte geschrieen, wäre es, wie die Jünglinge, gefesselt ins Meer gestoßen worden. »Du vergeudest deine Kraft«, sagte Perrudja, »als ob es dir nicht anstände, auf eigene Kosten Vater zu werden. Du bist der Mensch, auserwählt, hundert Kinder zu zeugen.«

Hein begriff nicht. Er mußte sehr taub sein, daß er soweit ab von der Meinung des Freundes war. Die Sechzehnjährige würde seine uferlosen Erlebnisse fesseln. Sie zu küssen zwar schmeckte gut. Er hatte sie ja geküßt. In ihr Fleisch zu tasten bereitete gewisse Grade der Trunkenheit. Er fand sich plötzlich sehr nüchtern und ausgelaugt. - Hans Henny Jahnn, Perrudja. Frankfurt am Main 1966 (zuerst 1929)

Veterschaft

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