aucher Wenn er einen Tag nicht ins Wasser gehen konnte, fühlte er eine solche Beängstigung, einen solchen Druck auf der Brust, daß er nicht schlafen konnte. Er diente oft als Meeresbote von einem Hafen zum anderen oder vom Festland zu den Inseln und machte sich nützlich, wenn das Meer so stürmisch war, daß sich die Schiffer nicht hinauswagten. Da er andauernd alle jene Meere durchkreuzte, wurde er vielen bekannt, die gewerblich die Schiffahrt zwischen den Gestaden Siziliens und Neapel betrieben. Er begnügte sich nicht mit den Küsten; gewöhnlich schwamm er weit auf die hohe See hinaus, wo er oftmals ganze Tage verbrachte. Wenn er ein Schiff vorüberfahren sah, machte er sich, selbst wenn es weit entfernt war, mit höchster Geschwindigkeit unverzüglich und ohne jedes Bedenken an seine Verfolgung und ging an Bord. Er betrat das Schiff, aß und trank, was man ihm gab. Höflich und freundlich bot er sich an, Nachrichten der Seeleute in jeden beliebigen Hafen zu bringen, und führte alles pünktlich aus. Darauf suchte er verschiedene Küsten auf, um die Nachrichten zu überbringen, hier an die Väter, dort an die Mütter und die Söhne, anderswo an die Freunde oder an die Untergebenen dieses oder jenes oder eines anderen Seemannes, ganz wie sie es ihm auftrugen. Ebenso überbrachte er alle möglichen Briefe, zu welchem Zwecke er sich mit einem wohl verwahrten und verschlossenen Lederbeutel versehen hatte, damit sie nicht naß würden.
So lebte dieses vernünftige Amphibium
(este racional Amphibio), bis sein Unglück ihn zum Opfer Neptuns
machte, den er verehrte. Der König Friedrich
von Neapel und Sizilien befahl ihm, — entweder um einen offenkundigen
Beweis von der seltsamen Fähigkeit des Nicolao zu erhalten, oder
aus Wissensdurst (por una curiosidad philosophica), die Beschaffenheit
des Meeresbodens kennenzulernen, den das Altertum Charybdis
nannte und der in der Nähe des Kaps Faro liegt — in jene zerklüftete
Tiefe zu springen. Da dem Nicolao die Ausführung bedenklich schien
(dificultando Nicolao la execucion), weil er die ungeheure Größe
der Gefahr kannte, warf der König einen goldenen Becher in die
Tiefe und sagte zu ihm, er solle ihm gehören, sofern er ihn aus
jenem Abgrund hole. Die Habgier reizte die Kühnheit (la codicia
excitö la audacia). Er stürzte sich in die schauerliche Tiefe,
aus der er nach ungefähr drei Viertelstunden — diese lange Zeit
war notwendig, um den Becher in dem Labyrinth des Meeres zu suchen
— mit diesem in der Hand wieder auftauchte. Er unterrichtete
den König über die Beschaffenheit jener Klüfte und über verschiedene
Meeresungeheuer, die in ihnen hausten; dabei überschritt er vielleicht
ein wenig die Grenzen der Wahrheit, da er ja sicher war, daß
kein Augenzeuge ihn je der Lüge überführen könne. Ob nun der
König einen genaueren Bericht über alle Einzelheiten wünschte
oder ob Friedrich einer von den vielen Fürsten war, die, der
gewöhnlichen Vergnügungen überdrüssig, nur noch spürbares Vergnügen
empfinden (solo encuentran lisonja sensible al gusto), wenn die
Geschicklichkeit derer, die sie unterhalten, durch ihre Lebensgefahr
gewürzt (sazonada) ist: er bemühte sich jedenfalls, den Nicolao
zu einer neuen Probe zu zwingen; und als er ihn widerstrebender
als beim ersten Mal fand, weil er ja die Ungeheuerlichkeit des
Wagnisses deulich genug kennengelernt hatte, warf er nicht nur
einen zweiten goldenen Becher ins Wasser, sondern zeigte ihm
auch einen Beutel, voll von Münzen des gleichen Metalls, und
versicherte ihm, daß ihm, wenn er den zweiten Becher wiederbringe,
nicht nur dieser, sondern auch der Beutel gehören solle. Die
außerordentliche Begierde nach dem Golde (la desordenada ansia
del oro), die schon so vielen Menschen verhängnisvoll geworden
ist, war es auch für den armen Nicolao. Entschlossen stürzte
er sich auf die zweite Beute. Jedoch kehrte er niemals zurück,
weder tot, noch lebendig. - Aus: Klaus J. Heinisch, Der
Wassermensch. Stuttgart 1981 (Klett-Cotta)
Taucher (2) A. A. Popov erzählte das Folgende von einem avam-samojedischen Schamanen. Dieser bekam die Pocken und war drei Tage bewußtlos, fast tot, so daß man ihn beinahe am dritten Tag begraben hätte. Während dieser Zeit fand seine Initiation statt. Er erinnerte sich, daß er mitten auf einen See getragen wurde. Dort hörte er die Stimme der Krankheit (also der Pocken) zu ihm sprechen: «Du erhältst von den Herren des Wassers die Gabe zu schamanisieren. Dein Schamanenname ist huottarie (Taucher).» Darauf wühlte die Krankheit das Wasser des Sees auf. Er stieg aus dem Wasser und kletterte einen Berg hinan. Dort begegnete er einer nackten Frau und begann ihre Brust zu saugen. Die Frau, wahrscheinlich die Herrin des Wassers, sagte zu ihm: «Du bist mein Kind, darum lasse ich dich meine Brust saugen. Du wirst vielen Schwierigkeiten begegnen und es sehr schwer haben.»
Der Gatte der Herrin des Wassers, der Herr der Unterwelt, gab ihm nun zwei Führer, ein Hermelin und eine Maus, die ihn in die Unterwelt führten. Als sie auf einem hochgelegenen Ort angekommen waren, zeigten seine Führer ihm sieben Zelte mit zerrissenen Dächern. Er trat in das erste ein und traf dort die Bewohner der Unterwelt und die Männer der Großen Krankheit (der Pocken). Diese rissen ihm das Herz heraus und warfen es in einen Kochtopf. In den andern Zelten lernte er den Herrn des Wahnsinns kennen und die Herren aller Nervenkrankheiten, auch derjenigen der bösen Schamanen. Auf diese Weise lernte er die verschiedenen Krankheiten, welche die Menschen quälen.
Darauf kam der Kandidat, immer hinter seinen Führern, in das Land der Schamaninnen, welche ihm Kehle und Stimme kräftigten. Von dort wurde er zu den Ufern der Neun Seen getragen. In der Mitte eines dieser Seen fand er eine Insel, und in der Mitte der Insel erhob sich eine junge Birke bis zum Himmel. Das war der Baum des Herrn der Erde. In seiner Nähe wuchsen neun Kräuter, die Ahnen von allen Pflanzen der Erde. Der Baum war von Seen umgeben und in jedem See schwamm eine Vogelart mit den zugehörigen Jungen; da gab es verschiedene Arten von Enten, einen Schwan, einen Sperber. Der Kandidat besuchte alle diese Seen; einige davon waren salzig, andere wieder so heiß, daß er sich ihrem Ufer nicht nähern konnte.
Als er damit fertig war, hob der Kandidat den Kopf und gewahrte im Wipfel des Baumes Menschen aus mehreren Nationen: Tavgy-Samojeden, Russen, Dolganen, Jakuten und Tungusen. Er hörte Stimmen: «Es ist beschlossen worden, daß du ein Tamburin (das heißt einen Trommelstock) aus den Ästen dieses Baumes bekommen sollst», worauf der Kandidat mit den Seevögeln fortflog. Als er sich vom Ufer entfernte, rief ihm der Herr des Baumes zu: «Mein Ast ist eben heruntergefallen, nimm ihn und mach dir daraus eine Trommel, sie soll dir dein Leben lang dienen.» Der Zweig hatte drei Gabelungen und der Herr des Baumes befahl ihm, sich drei Trommeln zu machen, die von drei Frauen bewacht werden müßten, jede Trommel für eine spezielle Zeremonie: eine zum Schamanisieren bei den Wöchnerinnen, die zweite für die Heilung der Kranken und die letzte zur Auffindung der im Schnee Verirrten. Ebenso gab der Herr des Baumes auch allen anderen Männern im Baumwipfel einen Ast. Dann aber stieg er in Menschengestalt bis zur Brust aus dem Baum hervor und rief: «Einen einzigen Ast gebe ich den Schamanen nicht, sondern behalte ihn für die übrigen Menschen. Sie dürfen sich aus diesem Ast Wohnungen machen und ihn auch sonst verwenden. Ich bin der Baum, der allen Menschen das Leben gibt.» Der Kandidat drückte den Ast an sich und wollte eben seinen Flug wieder aufnehmen, als er von neuem eine menschliche Stimme hörte, die ihm die medizinischen Kräfte der sieben Pflanzen kundtat und Anweisungen für die Kunst des Schamanisierens gab. Doch müsse er drei Frauen heiraten (was er übrigens auch tat; er heiratete drei Waisen, die er von den Pocken geheilt hatte).
Darauf kam er an einen unendlich großen See und fand dort Bäume und sieben Steine. Diese Steine sprachen der Reihe nach mit ihm. Der erste hatte Zähne wie ein Bär und eine Höhlung in Form eines Korbes und eröffnete ihm, daß er der Stein der Erdpressung sei; er beschwere mit seinem Gewicht die Felder, damit sie nicht vom Wind davongetragen würden. Der zweite diente zum Schmelzen des Eisens. Er blieb sieben Tage bei diesen Steinen und lernte so, wozu sie den Menschen dienen konnten.
Die beiden Führer, die Maus und das Hermelin, führten ihn nun auf ein hohes, rundes Gebirge. Er sah eine Öffnung vor sich und drang in eine leuchtende Höhle ein; sie war mit Spiegelglas ausgekleidet und in der Mitte war etwas, das wie ein Feuer aussah. Er bemerkt zwei nackte, aber mit Haaren bedeckte Frauen wie Rentiere und er sieht, daß keines von den Feuern brennt, sondern daß das Licht von oben durch eine Öffnung hereinkommt. Eine von den beiden Frauen teilt ihm mit, daß sie schwanger ist und zwei Rentiere zur Welt bringen wird; das eine werde das Opfertier der Dolganen und Evenken, das andere der Tavgy sein. Sie gibt ihm noch ein Haar, das ihm von Wert sein werde, wenn er für die Renntiere zu schamanisieren habe. Die andere Frau bringt ebenfalls zwei Rentiere zur Welt, Symbole der Tiere, die dem Menschen bei der Arbeit helfen und ihm auch zur Nahrung dienen sollen. Die Höhle hatte zwei Öffnungen, eine nach Norden, eine nach Süden; zu jeder schickten die Frauen ein junges Rentier hinaus, das den Waldleuten (den Dolganen und Evenken) helfen sollte. Auch die zweite Frau gab ihm ein Haar; wenn er schamanisiert, wendet er sich im Geist nach dieser Höhle.
Nun kommt der Kandidat in eine Wüste und sieht in weiter Ferne ein Gebirge. Nach dreitägigem Marsch ist er dort angelangt, dringt durch eine Öffnung ein und begegnet einem nackten Mann, der mit einem Blasebalg arbeitet. Über dem Feuer befindet sich ein Kessel «so groß wie die halbe Erde». Der Nackte erblickt den Novizen und ergreift ihn mit einer riesigen Zange; der kann gerade noch denken: «Ich bin tot!» Der Mann schneidet ihm den Kopf ab, teilt seinen Körper in kleine Stücke, wirft alles in den Kessel und kocht den Körper darin drei Jahre lang. Dort waren auch drei Ambosse und der Nackte schmiedete seinen Kopf auf dem dritten, auf dem die besten Schamanen geschmiedet wurden. Dann warf er den Kopf in einen von den drei Töpfen, die dort standen, in dem das Wasser am kältesten war. Bei dieser Gelegenheit entdeckte er ihm folgendes: Wenn er zu jemandem gerufen wurde um ihn zu heilen und das Wasser sei sehr heiß, dann sei es nutzlos zu schamanisieren, denn der Mensch sei schon verloren; bei lauwarmem Wasser sei er krank, werde aber gesunden, und das kalte Wasser sei das Kennzeichen für einen gesunden Menschen.
Der Schmied fischte nun seine Gebeine auf, die in einem Fluß schwammen, setzte sie zusammen und bedeckte sie mit Fleisch. Er zählte Sie und teilte ihm mit, er habe drei Stück zuviel, er müsse sich also drei Schamanenkostüme verschaffen. Er schmiedete seinen Kopf und zeigte ihm, wie man die Buchstaben darin lesen kann. Er wechselte ihm die Augen aus, deshalb sieht er, wenn er schamanisiert, nicht mit seinen fleischlichen Augen, sondern mit diesen mystischen. Er durchstach ihm die Ohren und setzte ihn damit in den Stand, die Sprache der Pflanzen zu verstehen.
Darauf fand sich der Kandidat auf dem Gipfel eines Berges
und erwachte endlich in seiner Jurte bei den Seinen. Jetzt kann
er singen und schamanisieren ohne Ende, ohne jemals müde zu werden.
- Mircea Eliade, Schamanismus und archaische Ekstatsetechnik.
Frankfurt am Main 1975 (stw 126, zuerst 1951)
Taucher (3) Die Vibern mögen das Wasser,
tauchen nach Schwämmen, behaupten sich gegen Haifische
und Kraken. Sie kehren abends zurück, ohne sich abgetrocknet
zu haben, mit leicht bläulich phosphoreszierendem
Körper. Ihre Frauen kommen in einem Boot nieder, denn
in den Bewegungen des Meeres finden sie die notwendigen Kräfte, das Kind, das
geboren werden will, auszustoßen. -
(mich2)
Taucher (4)
Taucher (5)
Taucher (6)
botschaft des tauchers unter der silbernen glocke, hangend oben im licht macht die jury den tod unten im dunkel in seiner rüstung, CQ CQ an alle! an alle! wo niemand recht hat von uns ich wiederhole: laßt ab, |
- Hans Magnus Enzensberger, Landessprache. Frankfurt
am Main 1969 (es 304, zuerst 1960)
Taucher (7)
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