aschenmesser
«Oh, Frau Gräfin, rasch! Kommen Sie; schauen Sie, was Louis getan hat.»
Ich folge ihr und finde meinen kleinen Louis, von drei bleichen Frauen umgeben,
die rechte Wange mit zwei roten, bluttriefenden Kreuzen gezeichnet. «Was hast
du getan, mon petit Louis, was hast du getan?» Er hatte mir nichts dir nichts
sein Taschenmesser gezückt und sich das Gesicht zerschnitten. Das Blut floß
jetzt in Strömen, der Bursche fing es in seine Hände auf und rieb sie damit
ein. «Mein Blut, Frau Gräfin, Sie sehen ja, was ich damit tue. Ich spiele damit,
Frau Gräfin, und davor fürchten sie sich. Amélie hätte Frau Gräfin nicht zu
holen brauchen. Es hat nichts zu bedeuten.» Und gleichzeitig strich er es bis
an die Ellbogen hinauf, dieses Blut, schmierte es über beide Arme, als wollte
er sich den ganzen Leib damit bemalen.
- Marcel Jouhandeau, Der Aland. In: M. J., Chaminadour. Reinbek bei Hamburg 1964
Taschenmesser (2) Zumindest stand der Fünfziger, den er ihr dafür gezahlt hatte, daß sie mit ihm ins Bett gegangen war, nicht auf dem Spiel. Sie hatte ihn sich verdient. Im Bett hatte er sie gefragt, ob sie nicht ein bißchen heulen und ihn dabei verängstigt ansehen könnte. Sie hatte ihm geantwortet, daß, wenn sie jederzeit heulen könnte, sie dann nicht das hier tun müßte, sondern ein Filmstar wäre. Daraufhin war er wütend geworden. Er holte das kleine Taschenmesser, das er zum Reinigen seiner Fingernägel benutzte, aus dem Geldgürtel - selbst nackt im Bett legte er ihn nicht ab —, schob ihr die Klingenspitze in ein Nasenloch und fragte: »Willst du, daß ich weitermache?«
Okay, okay, hatte sie geantwortet und eine Oscar-reife Vorstellung hingelegt.
Mit einer Messerklinge in der Nase war es nicht schwer, Angst zu haben. Nach
einer Minute, nein, weniger, war alles vorbei, und er lächelte wieder, um zu
beweisen, daß er in Wirklichkeit doch ein netter
Kerl war. - Elore Leonard, Glitz. München 1991
- Günter Grass, Hundejahre. Reinbek bei Hamburg 1968 (zuerst 1963)
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