Tag, schläfriger   Die Betten wurden den ganzen Tag nicht gemacht und standen wie tiefgängige Schiffe da, vollgepackt mit zerknülltem, von schweren Träumen hin und her gewalztem Bettzeug, bereit, in die nassen und verworrenen Labyrinthe eines schwarzen, sternlosen Venedigs auszulaufen. Im stillen Morgendämmer brachte Adela uns den Kaffee. Träge kleideten wir uns in den kalten Zimmern an, beim Kerzenlicht, das sich in den schwarzen Fensterscheiben vielfach widerspiegelte. Diese Tagesanbrüche waren mit planlosem Herumkramen angefüllt, mit endlosem Suchen in verschiedenen Schubladen und Schränken. In der ganzen Wohnung war das Klappern von Adelas Schühchen zu hören. Die Gehilfen hatten die Laternen angezündet, nahmen aus der Hand meiner Mutter die großen Ladenschlüssel entgegen und gingen in die dichte, wirbelnde Finsternis hinaus. Meine Mutter kam mit ihrer Toilette nicht zurecht. Die Kerzen im Leuchter waren erloschen. Adela war irgendwo in entlegene Zimmer oder auf den Dachboden entschwunden, wo sie Wäsche aufhängte. Sie war nicht in Rufweite. Das noch junge, diffuse und schmutzige Feuer im Ofen leckte die kalten, glitzernden Rußgewächse im Rachen des Kamins auf. Die Kerze erlosch, und das Zimmer versank in Dunkelheit. Den Kopf auf dem Tischtuch, inmitten von Frühstücksresten, schliefen wir halb angezogen ein. Mit dem Gesicht auf dem pelzigen Bauch der Finsternis liegend, glitten wir auf ihrem wogenden Atem davon in ein sternloses Nichts. Adelas lautstarkes Abräumen weckte uns. Meine Mutter war mit ihrer Toilette nicht fertig geworden. Sie war noch nicht frisiert, als die Gehilfen zum Mittagessen kamen. Die Dämmerung auf dem Marktplatz hatte die Farbe goldenen Rauches angenommen. Einen Moment lang konnte dieser rauchige Honig, dieser milchige Bernstein die aller-schönsten Nachmittagsfarben hervorbringen. Doch der glückliche Moment verging, das Amalgam des Morgenlichts war verblüht, das quellende Tagesferment, beinahe schon ganz aufgegangen, fiel wieder in sich zusammen, zurück in kraftloses Grau. Wir setzten uns zu Tisch, die Gehilfen rieben sich die vor Kälte geröteten Hände, und die Prosa ihrer Gespräche holte plötzlich den ganzen Tag herbei, einen grauen, leeren Dienstag, einen Tag ohne Gesicht und Tradition. Doch als auf dem Tisch die Platte mit Fisch in glasigem Gelee erschien, zwei große Fische, Seite an Seite liegend, Kopf an Schwanz wie das Tierkreiszeichen, erkannten wir darin das Wappen des Tages, das Emblem eines namenlosen Kalenderdienstags, und wir teilten ihn schnell unter uns auf, überaus erleichtert, daß der Tag damit seine Physiognomie wiedererlangt hatte.

Die Gehilfen verzehrten ihn salbungsvoll, mit dem Ernst einer Kalenderzeremonie. Der Geruch von Pfeffer verbreitete sich im Zimmer. Und als sie mit einem Wecken die Reste des Gelees von den Tellern wischten, dabei in Gedanken die Heraldik der kommenden Wochentage erwogen und auf der Platte nur die Köpfe mit den ausgekochten Augen übrigließen, da fühlten wir alle, daß der Tag mit vereinten Kräften besiegt war und daß der Rest nun keine Bedeutung mehr hatte.

In der Tat machte Adela mit diesem Rest, der ihrer Gnade überlassen war, keine großen Umstände. Mit den Töpfen klappernd und mit kaltem Wasser platschend beseitigte sie energisch die wenigen Stunden bis zur Dämmerung, die meine Mutter auf der Ottomane verschlief.  - Bruno Schulz, Die Schneiderpuppen. Nach (bs2)

 

Tag Schläfrigkeit

 

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