Systemvertrauen   Sie wissen genauso wie ich, daß nach der marxistischen Veränderung der Gesellschaft der Staat herrscht. Das ist die Erfahrung. Das ist eine Systementfaltung, wie wir sie nicht wünschen können. Hier nämlich wird im Namen von Werten geherrscht, d. h. unterdrückt, (schwacher Beifall)

Wir sehen die moderne Gesellschaft mit anderen Augen: Die Funktionen des Gesellschaftssystems können als Teilsysteme — durch Ausdifferenzierung und funktionale Spezifikation - viel besser und viel wirkungsvoller erfüllt werden. Und: von der Leistungsfähigkeit einzelner Teilsysteme läßt sich dann auf die hohe Leistungsfähigkeit der Gesellschaft im ganzen schließen. Und wenn gesagt wird, daß diese Teilsysteme zwar hohe Komplexität hervorbringen, diese Komplexitätserzeugung aber selbst tiefe Mängel aufweist, so beseitigen wir dieselben nicht etwa politisch, wie es die Marxisten tun oder vorhaben zu tun, sondern sorgen in unserem politischen System dafür, daß es selbst hohe, höchste Eigenkomplexität aufweist, also einen großen Bestand von Alternativen und Variationsmöglichkeiten verwalten kann. Dann kann es Probleme lösen. Wir müssen also nach innen differenzieren, und solche Innendifferenzierungen sind die Untersysteme unseres politischen Systems: wie etwa die Verwaltung; hier geht es um die Ausarbeitung der Problemlösungen und der Parteipolitik; hier geht es um die Beschaffung von politischer Unterstützung. Freilich, Bedingungen für die Variabilität unseres politischen Systems sind die Positivierung des Rechts und die Orientierung an Interessen statt an Wahrheiten. Es kann also kein Recht mehr geben, das sich durch lange Tradition als legitim ausweist, so wie es in Zukunft keinen allemal geltenden Wertkosmos geben darf, (allgemeine Unruhe und wieder schwacher Beifall) Niklas Luhmann wurde jetzt direkter. Leidenschaft in der Stimme, versuchte er zu überreden:

Lasset uns die großen Probleme der Menschheit verwalten, von oben nach unten, so wie sie von unten nach oben sich anmelden werden. Unser besonderer Dank gilt den Parteien, die uns politische Unterstützung verschaffen. Und ihnen gilt unser Dank, wenn sie in der Öffentlichkeit auf ihre Wahrheit verzichten und ganz allein interessiert sind am Interesse. Es geht um das ganze Raumschiff Erde.

Beziehen Sie unseretwegen eine beliebige Wohnung in einem beliebigen Kosmos. Das dürfen, das sollen Sie, bitte. Das schadet dem Ganzen nicht, solange es Ihre Privatwohnung sein wird, in der Sie sich wohl fühlen können, (die Falschen schimpfen und klatschen)

Je weniger Sie öffentlich mitdenken, oder gar mithandeln wollen, umso mehr verringert sich eine Komplexität, die uns schrecklich zu schaffen macht. Bitte erleichtern Sie unserer Verwaltung die Ausarbeitung der Lösungen. Freilich: privat dürfen Sie denken und handeln wie es beliebt. Sie müssen uns da oben ganz vertrauen, damit wir umso differenzierter Ihrem Vertrauen entsprechen können. Lassen Sie es zum allgemeinen Systemvertrauen heranreifen. Im übrigen seien Sie so sehr Besondere, daß wir Ihre Besonderheiten gar nicht mehr besonders wahrnehmen können. Werden Sie also, wenn möglich, politisch immer motivfreier, damit Sie private Motive immer freier ausleben können.
(viel Beifall, die Falschen staunen und schweigen, dann: einige Pfiffe)   - Paul Wühr, Das falsche Buch. Frankfurt am Main 1985

System Vertrauen

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