ymphonie   1915, als Österreich-Ungarn G ... angriff, kreuzten sich die Wege von vier Menschen. Kommandant der angreifenden Artillerie war der aus Polen stammende Graf Pr...; der  Kommandant der russischen Artillerie auf der Gegenseite war sein polnischer Cousin, der Graf Cs...  Graf Pr ... hatte lange in der Gegend, die er erobern sollte, auf seinen Ländereien gelebt ;  seine Freundin, die er hier zurücklassen mußte, war eine Geschäftsfrau mit einer hohen, fülligen Figur und sinnlichem Blick, eine vollendete Musikerin, die seit kurzem auf sehr gutem Fuße mit dem Grafen Cs..., dem Kommandanten der russischen Artillerie, stand. Dieser hatte seinerseits seine Geliebte zurücklassen müssen, die er zärtlich liebte. Diese junge Aristokratin, die seit einem knappen Jahr verwitwet war und zum erstenmal wahre Liebesfreuden kennengelernt hatte, war sehr betrübt über die Trennung von ihrem Geliebten, und der Graf Pr..., der ihr einmal vorgestellt worden war, bevor er zum Feind und Eindringling wurde, machte ihr vergeblich mit großer Beharrlichkeit den Hof. Dennoch hatte er seine Musikerin, die Geschäftsfrau von G..., nicht vergessen, und da er selbst Musiker war und talentierter Komponist, wollte er sich bei seiner Geliebten in Erinnerung bringen mit einem Konzert, das nacheinander Morgenständchen und Serenade sein sollte, eines wie es noch kein Liebhaber je seiner Geliebten gewidmet hatte. Nachdem er den Ton der Kanonen gemessen hatte, um das Timbre und die Höhe des Tons, der aus ihrer Seele kam, zu erfahren, komponierte er eine entsetzliche Sinfonie, die er seine Artillerieeinheiten aufführen ließ; und sein Rivale, der Kommandant der russischen Artillerie, der ebensosehr Musiker war wie er, verstand das Ganze so gut, daß er in dieses schreckliche Konzert die ebenso wilden, aber leider weniger gewaltigen Töne seiner Kanonen einbrachte und so die gräßliche Sinfonie seine Feindes ergänzte. Es war alles andere als Kammermusik. Und dieses todbringende Konzert dauerte zwei Tage und zwei Nächte und versetzte alle, die es hörten, in Schrecken. Sie hätten vorgezogen, es nicht zu hören, konnten jedoch nicht umhin, die fürchterliche, großartige Harmonie zu bewundern.

 Die russische Garnison und fast die gesamte Bevölkerung von G... kamen bei diesem Konzert um, ebenso die Geliebte des Grafen Pr..., die dieser tot auf dem Leichnam ihres Liebhabers fand. Dessen Geliebte wiederum, die bis dahin dem Begehren des Siegers widerstanden hatte, war wehrlos, als er sie vergewaltigte, aber am gleichen Abend erdolchte sie dann den Grafen Pr..., der vollgefressen und von hundertjährigem Met und Tokajer berauscht eingeschlafen war. Danach fiel bei einer letzten Salve der russischen Batterie eine Granate auf das kleine Schlößchen, in dem die junge Witwe wohnte, und tötete sie.  - (apol), bearb. (cel)

Symphonie (2) Der Maestro war fast schön zu nennen, wie er da mit seinem feinen und spähenden Gesicht stand und das Orchester startete, dessen Motoren auf vollen Touren liefen. Über den Saal hatte sich blitzartig nach dem Beifallsgeklatsch eine große Stille gebreitet; ich glaube sogar, daß der Maestro die Maschine anwarf, ehe das Publikum noch aufgehört hatte, ihn zu begrüßen. Der erste Satz mit seinen Erinnerungsblitzen, seinen Symbolen, seinem mühelosen und spontanen Höhepunkt fuhr über unsere Köpfe weg. Der zweite, großartig dirigiert, hallte in einem Saal wider, in dem die Luft wie entzündet schien, entbrannt aber in einem Feuer, das unsichtbar und kalt war, das von innen nach außen brannte. Fast niemand hörte den ersten Schrei, weil er erstickt und kurz klang, aber da das Mädchen direkt vor mir saß, beobachtete ich betroffen, wie es in Zuckungen geriet, und hörte es gleichzeitig, unter einem Akkord der Blech- und Holzinstrumente, schreien. Ein Schrei, trocken, knapp wie im Liebeskrampf oder in Hysterie. Ihr Kopf klappte nach hinten, auf diese Art ulkigen Bronze-Einhorns, das die Parkettsitze im Corona tragen, und gleichzeitig trampelten ihre Füße wie wild auf den Boden, -während ihr die Personen neben ihr unter die Arme griffen. Von oben, aus der ersten Reihe des ersten Rangs, hörte ich einen Schrei, einen anderen Schlag auf den Boden. Der Maestro beendete den zweiten Satz und sprang geradenwegs in den dritten; ich fragte mich, ob ein Dirigent, gefangen in der nahen Klangkulisse des Orchesters, einen Schrei aus dem Parkett hören kann. Das Mädchen aus der Reihe vor mir kippte jetzt allmählich vornüber, und jemand (vielleicht ihre Mutter) stützte sie die ganze Zeit mit einem Arm. Ich hätte gern geholfen, aber es ist keine Kleinigkeit, sich mitten im Konzert und bei unbekannten Leuten in Dinge einzumischen, die in der vorderen Reihe vorgehen. Ich wollte Frau von Jonathan ein Wort sagen, da für derartige Zustände Frauen die geeigneten Personen sind, aber sie hielt die Augen starr auf den Rücken des Maestro geheftet; mir schien, unterhalb des Mundes, an ihrem Kinn glänzte etwas. Plötzlich sah ich den Maestro nicht mehr, weil sich in der vordersten Reihe der runde Rücken eines Herrn im Smoking aufreckte. Es war sehr ungewöhnlich, daß sich jemand mitten im Satz erhob, aber auch jene Schreie und die Gleichgültigkeit der Leute gegenüber dem hysterischen Mädchen waren ungewöhnlich. Etwas wie ein roter Fleck zwang mich, in die Mitte des Parketts zu blicken, und erneut sah ich die Dame, die in der Pause beifallklatschend zum Podium gelaufen war. Sie schritt langsam vorwärts, sozusagen geduckt, obgleich ihr Körper aufgerichtet blieb, aber es war auch eher der Ausdruck ihres Gangs: mit langsamen, hypnotischen Schritten vorwärts, wie jemand, der kurz vor dem Sprung steht. Sie blickte den Maestro starr an, für Sekunden sah ich das erregte Leuchten ihrer Augen. Ein Mann trat aus den Reihen und ging hinter ihr her; jetzt waren sie in der Höhe der fünften Reihe, und drei weitere Personen schlossen sich ihnen an. Die Musik ging dem Ende zu, die ersten großen Schlußakkorde, vom Maestro herrlich knapp entfesselt, sprangen auf, Skulpturenmassen, die mit einem Schlag vor einem standen, hohe weiße und grüne Säulen, ein Karnaktempel von Tönen, durch dessen Schiff die rote Frau und ihr Gefolge Schritt für Schritt vorrückten.   - Julio Cortázar, Die Nacht auf dem Rücken. Die Erzählungen Bd. 1. Frankfurt am Main 1998
 
 

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