ymmetrie Ich saß am Schreibtisch, um dieses Buch zu schreiben, als mich wie so oft ein Schmerz im Nacken überkam. Man empfahl mir eine chinesische Arztin, eine ältere, etwas schroffe, wie man mir sagte. Kaum hatte sie mich gemustert, bemerkte sie abfällig. »Total rechts.« Ich war immer ein Linker gewesen und wollte protestieren.
Bei Norberto Bobbio lese ich: »Wie ich bereits mehrmals wiederholt
habe, gibt es keine Rechte ohne eine Linke und umgekehrt.« Wenn es nötig ist,
eine Selbstverständlichkeit »mehrmals« zu wiederholen, stimmt irgend etwas nicht.
Die Rechte vielleicht nicht, aber die Linke hatte bestimmt einen starken Hang
zur Selbstgefälligkeit. In der Jugend mag man das Unsymmetrische, oder vielmehr,
man weiß mit der Symmetrie nichts anzufangen. Ein Freund von mir ist überzeugt,
daß der Reiz Venedigs — die Gondeln ebenso wie die Fassaden der Paläste — von
einem nüchternen und wohlkalkulierten Maß an Asymmetrie
herrührt. Um als Kind rechts und links auseinanderhalten zu können, half ich
mir mit der Frage, mit welcher Hand ich boxen würde. Kein Wunder, daß mir später
die andere sympathischer war; daß ich mir dann vornahm, Wahl-Linkshänder zu
werden. - Adriano Sofri, der Knoten und der Nagel. Ein Buch zur linken
Hand. Frankfurt am Main 1998 (Die Andere Bibliothek 160, zuerst 1995)
Zur Teleologie Beine hat uns zwei gegeben Augen gab uns Gott ein Paar, Gott versah uns mit zwei Händen, Gott gab uns nur eine Nase, Gott gab uns nur einen Mund, Mit zwei Ohren hat versehn Als zur blonden Teutelinde Also Teutolinde sprach, ------- Springt und singt und gähnt ein jeder,
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- Heinrich Heine
Symmetrie (3) Als ich ins Hotel Goldenes Prag kam, nahm
mich der Chef am linken Ohr und
zog daran und sagte: »Du bist hier Pikkolo, merk dir das. Du hast nichts gesehen,
nichts gehört. Sprich's mir nach.« Und so sagte ich, ich hätte im Hause nichts
gesehen und nichts gehört.
Und der Chef zog mich am rechten Ohr und sagte: »Und
merk dir aber auch, daß du alles sehen und alles hören mußt. Sprich's mir nach.«
Ich wiederholte verwundert, daß ich alles sehen und alles hören wolle, und so
fing ich an. - Bohumil Hrabal, Ich habe den englischen König bedient.
Frankfurt am Main 1990 (zuerst 1971)
Symmetrie (4) Der Unterschied zwischen graden und
ungraden Zahlen zog die Aufmerksamkeit der Pythagoräer
besonders auf sich, und es ist spekuliert worden, daß die in allen einfachen
Harmonien auftretenden Relationen zwischen einer graden und einer ungraden Zahl
dafür verantwortlich sei (Vascorides). Denn alle geschaffenen Dinge sind, nach
pythagoräischer Auffassung, in zwei Kategorien
eingeteilt: die ungraden Zahlen sind der rechten Seite,
der Grenze, dem Männlichen, Ruhenden, Geraden, dem
Licht, dem Guten und, geometrisch ausgedrückt, dem Quadrat zugeordnet, während
die graden Zahlen dem Unbegrenzten (da sie unbegrenzt teilbar sind), der Vielheit,
der linken Seite, dem Weiblichen,
Bewegten, Gekrümmten, der Finsternis, ja dem Bösen und, in geometrischer Form,
dem Rechteck entsprechen. - (zahl)
Symmetrie (5) Ein mongolischer Kaiser träumt im 14. Jahrhundert
einen Palast und erbaut ihn nach dem Vorbild seiner Schau; im achtzehnten Jahrhundert
träumt ein englischer Dichter, der nicht wissen konnte, daß dieses Bauwerk sich
aus einem Traum herleitete, ein Gedicht über den Palast.
Verglichen mit dieser Symmetrie, die mit den Seelen schlafender Menschen arbeitet
und Kontinente und Jahrhunderte umfaßt, fallen, will mir scheinen, nicht oder
kaum ins Gewicht die Levitationen, Auferstehungen
und Erscheinungen der Erbauungsbücher. -
Jorge Luis Borges, nach (
bo4
)
Symmetrie (6)
Symmetrie (7)
Symmetrie (8) Man kann nicht umhin einzugestehn, daß
Kanten die antike, grandiose Einfalt, daß
ihm Naivetät, ingenuité [Unbefangenheit], candeur [Treuherzigkeit],
gänzlich abgeht. Seine Philosophie hat keine Analogie mit der Griechischen Baukunst,
welche große, einfache, dem Blick sich auf ein Mal offenbarende Verhältnisse
darbietet: vielmehr erinnert sie sehr stark an die Gothische Bauart. Denn eine
ganz individuelle Eigenthümlichkeit des Geistes Kants ist ein sonderbares Wohlgefallen
an der Symmetrie, welche die bunte Vielheit liebt, um sie zu ordnen und
die Ordnung in Unterordnungen zu wiederholen, und
so immerfort, gerade wie an den Gothischen Kirchen. Ja er treibt dies bisweilen
bis zur Spielerei, wobei er, jener Neigung zu Liebe, so weit geht, der Wahrheit
offenbare Gewalt anzuthun und mit ihr zu verfahren, wie mit der Natur die altfränkischen
Gärtner, deren Werk symmetrische Aileen, Quadrate und Triangel, pyramidalische
und kugelförmige Bäume und zu regelmäßigen Kurven gewundene Hecken sind. -
(wv)
Symmetrie (9) In einer außerordentlich interessanten
Untersuchung, die man vor kurzem in Westeuropa durchgeführt hat, traten folgende
Tatsachen zutage: Wenn verheiratete Frauen eine Affäre eingehen, dann entscheiden
sie sich für dominante Männer, die älter und verheiratet sind, gut aussehen
und ein symmetrisches Erscheinungsbild haben. Frauen haben mit sehr viel größerer
Wahrscheinlichkeit dann eine Affäre, wenn ihre Partner eher fügsam und jünger
als sie selbst sind, nicht besonders gut aussehen und ihr Erscheinungsbild in
irgendeiner Form asymmetrisch ist. Eine kosmetische Operation, die das Aussehen
eines Mannes verbessert, erhöht seine Chance für einen Seitensprung um hundert
Prozent. Je attraktiver ein Mann, um so weniger aufmerksam ist er als Vater.
Nahezu jedes dritte Kind, das in Westeuropa geboren wird, stammt aus einer außerehelichen
Beziehung. - Matt Ridley, Eros
und Evolution. Die Naturgeschichte der Sexualität. München 1996