wing
Ich habe keine klaren Gedanken, ich habe nicht einmal Gedanken. Was da ist,
sind Fetzen, Impulse, Blöcke, und alles sucht eine Form, dann kommt der Rhythmus
ins Spiel, und ich schreibe in diesem Rhythmus, ich schreibe
durch ihn, angetrieben von ihm, und nicht von dem, was man Denken
nennt und was die Prosa ausmacht, die literarische und die andere. Zuerst ist
da eine konfuse Situation, die sich nur durch das Wort definieren läßt; von
diesem Halbdunkel gehe ich aus, und wenn das, was ich sagen will (was sich sagen
will) genügend Kraft besitzt, setzt sofort der swing ein, eine rhythmische
Schwingung, die mich an die Oberfläche zieht und alles beleuchtet, die die ungeordnete
Materie und den, der sie erleidet, in einer klaren und unausweichlichen dritten
Instanz vereinigt: dem Satz, dem Abschnitt, der Seite, dem Kapitel, dem Buch.
Diese rhythmische Bewegung, dieser swing, in welchem die ungeordnete
Materie Gestalt annimmt, ist für mich die einzige Gewißheit ihrer Notwendigkeit,
denn kaum endet sie, begreife ich, daß ich nichts mehr zu sagen habe. Und zugleich
ist sie der einzige Lohn für meine Arbeit - ich fühle das, was ich geschrieben
habe, wie den Rücken einer Katze, der sich unter der streichelnden Hand rhythmisch
und funkensprühend hebt und senkt. So steige ich durch mein Schreiben in den
Vulkan hinab, nähere mich den Müttern, verbinde mich mit der Mitte - was immer
das sei. Schreiben bedeutet, mein Mandala zeichnen und es gleichzeitig durchlaufen,
die Läuterung erfinden, indes man sich läutert; Fron des armen weißen Schamanen
in Nylonunterhosen. - (
ray
)
Swing
(2) Die Kapelle spielte die alten
Begräbnisgesänge im Swing-Rhythmus, und ein Trompeter nahm die Melodie
auf und trug die Stakkatotöne klar und hoch in den heißen Himmel über Harlem
hinauf. Unter den Menschen, die im Swing-Rhythmus marschierten, brach eine
Massenhysterie aus. Sie begannen in allen Richtungen zu marschieren, vorwärts,
rückwärts, im Kreis, im Zickzack. Ihre Körper nahmen den Takt der Synkopen
auf. Sie bewegten sich zuckend und in den Hüften wiegend quer über die
Straße hin und zurück, zwischen den geparkten Wagen, auf die Gehsteige
hinauf und wieder hinunter, manchmal faßte ein Junge ein Mädchen zu einem
schnellen Wirbel, aber meistens marschierte jeder allein zu der Musik.
Sie marschierten und tanzten nach dem Rhythmus, nicht mit dem Takt, sondern
gegen ihn, gaben sich ganz dem Rausch des Swing hin und hielten trotzdem
mit der sich langsam weiterbewegenden Prozession
Schritt. - Chester Himes, Fenstersturz
in Harlem. Reinbek bei Hamburg (rororo thriller 2348, zuerst 1959)
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