üden
 

Sie träumen alle vom Süden, Wörtersüden,
nächtlicher Gaukelsüden, Schwebetürsüden,
Bunte Hose Süden! Asphalt und Autowracksüden!
Scheißkötersüden, Turnschuhe und Ölkanistersüden.

Schneller Blick Süden, vieläugiger Süden, Mottensüden
und grünblauer Swimming Pool Süden, das monotone
Lied des Südens der Klimaanlage, ein Süden voller
Apartments. Gelbstaubiger Sandwegsüden, Chitinpanzer

Süden, Käfersüden, Musikbox und helle Wellblechtür,
Schottersüden, Aluminiumbierdosensüden, südliche
Radiostation nachts halb drei! Und Flippersüden,
teurer Vorortsüden, Balkone, südliche Viehlologie,

Fliegengitter, Tamtam, Süden offener Mund! Schnaken
Süden, Uhrzeit und schwitzende Hüfte Süden,
Schlafzimmersüden, sie sagen: Süden! Flöhe
und Zigarettenkippensüden, Zeckensüden,

gespaltene Lippe Süden, dunstiger Vollmond
Süden! Die Schlingpflanzen wachen im Süden auf,
Scorpionsüden, Farbfernsehsüden, schaukelnder
Hintern und Tittensüden, ein staubiger Fetzen

der Süden, Muschelsüden, Barackensüden, Zunge
Süden, südlich rotierendes Sternbild. Ein zarter
Rosasüden, Netzsüden, Rauch, eine Unterhaltung, weiter
im Süden! Der Süden ein Sumpf, der Volkslieder singt,

Nickelsüden, kochender Abfallsüden, Krückensüden!
Schwer zu findender Süden, sie siedeln sich im Süden
an, schweben herum, ziehen weiter, südwärts, eine Fiktion.
Rost, elektrisch verstärkte Geige Süden, Crickettsüden,

südliche Grenze, Gitter, Rost, Banksüden, direkte
Linie, Taumelsüden, ein Wirbel, gelbblasser Sandweg
Süden, Lippenstiftsüden, und tiefer. Der Süden der Nacht,
Baumgesichter, arbeitender Süden, zerfallene Tankstelle

Süden und totes Stinktier, Bretterzaunsüden, Kriechtier
Süden, pumpender Körper Süden, Motel. Staubsüden,
Betonsüden, südliche Konstruktion, fortzufliehen, in
den Süden, wo der Süden ist, aus der Realität in die

Fiktion Süden, weiter, über den warmen Beton, wo Gras
zwischen den Fugen sprießt, Süden, durch die Schatten
Tunnel, helle Flecken, raschelndes Laub, Süden.


- (westw)

Süden (2) Frau von Chaulnes schreibt mir, ich sei glücklich zu preisen, hier in der Sonne zu leben, sie meint, unsere Tage seien aus lauter Gold und Seide gewoben. Ach, mein Vetter, wir frieren hier hundertmal mehr als in Paris; wir sind allen Winden ausgesetzt, sei's dem Meerwind, sei's der Bise oder dem Teufel; sie streiten sich darum, wem es am besten gelingt, uns zu beleidigen, und kämpfen um die Ehre, uns in unsere vier Wände einzuschließen. Alle unsere Flüsse sind mit Eis bedeckt, nicht einmal die Rhone, die wilde Rhone, hat zu widerstehen vermocht. Unsere Tintenfässer sind eingefroren, unsere Finger zu steif, um die Feder zu führen; wir atmen Schneeluft. Unsere Berge sind prächtig in ihrer Schauerlichkeit, täglich wünsche ich mir einen Maler herbei, der das Ausmaß dieser schrecklichen Schönheit wiedergäbe: so also steht es um uns. Schildern Sie das unserer Herzogin von Chaulnes ein wenig, die glaubt, wir ergingen uns mit Sonnenschirmen auf der Wiese oder spazierten im Schatten der Orangenbäume.  - (sev)

Süden (3) Odessa ist eine abscheuliche Stadt. Das weiß jedermann: Statt  »das ist ein großer Unterschied« sagt man dort »das sind zwei große Unterschiede«, und auch sonst sagt man vieles anders. Ich glaube aber, man kann auch viel Gutes über diese bedeutende und bezaubernde Stadt des Russischen Reiches berichten. Wohlgemerkt, es ist eine Stadt, in der es sich leicht und hell leben läßt. Die Hälfte seiner Rewohner sind Juden, und die Juden sind ein Volk, das ein paar sehr einfache Dinge sehr schön geprägt hat. Sie heiraten, um nicht einsam zu sein, sie lieben, um die Jahrhunderte zu überleben, sie sparen Geld, um Häuser zu haben und ihren Frauen Persianerjacken zu schenken, sie sind liebevolle Väter, weil es sehr schön und sehr notwendig ist, daß man seine Kinder liebt. Gouverneure und Zirkulare schaffen den armen Juden aus Odessa viel Unannehmlichkeit, aber sie aus ihrer Position zu verdrängen ist nicht leicht, denn ihre Position ist uralt. Man verdrängt sie nicht und guckt ihnen vieles ab. Ihren Bemühungen ist es in bedeutendem Maße zu danken, daß um Odessa eine Atmosphäre von Helle und Leichtigkeit entstand.  -  Isaak Babel, Odessa, nach (babel)

Süden (4)  Meine eigne Seele war übermannt von stillem Staunen. Wir ließen jedwede Sorge um das Schiff als schlimmer denn nutzlos, fahren; sicherten uns, so gut es ging, am Stumpf des Besanmastes, und starrten ansonsten eben voll Bitternis in die Ozeanwelt. Wir verfügten weder über Mittel, die Zeit zu messen; noch vermochten wir unsern Standpunkt zu bestimmen, sei es auch nur ganz annähernd. Trotzdem waren wir uns völlig klar darüber, daß es uns weiter südwärts geführt haben mußte, als sämtliche früheren Entdecker, und empfanden beträchtliches Erstaunen, nicht auf die zu erwartenden Eishindernisse zu treffen. Inzwischen drohte jeder Moment, unser letzter zu sein - jeder Wogenberg eilte, uns zu verschlingen. Die Dünung überstieg alles, was ich bisher überhaupt für vorstellbar gehalten hatte, und daß wir nicht unverzüglich begraben wurden, ist ein glattes Wunder. Mein Gefährte sprach von der Leichtigkeit der Ladung, und erinnerte mich an die vortrefflichen Eigenschaften unseres Schiffes; aber, ich konnte mir nicht helfen, ich hatte das Gefühl der gänzlichen Hoffnungslosigkeit des Hoffens, und bereitete mich düster auf einen Tod vor, der meiner Ansicht nach durch nichts um auch nur 1 Stunde noch hinausgeschoben werden konnte, da mit jeglicher Meile, die das Schiff machte, die Dünung der stupenden schwarzen Seen immer schrecklicher & entmutigender wurde. Zuweilen schnappten wir nach Luft in einer Höhe jenseits des Albatross - zuweilen schwindelte uns ob der sausenden Niederfahrt in eine Wasserhölle, wo die Luft flau stockte & kein Laut den Schlummer der Kraken störte.

Wir befanden uns am Boden eines dieser Abgründe, als plötzlich ein schneller Schrei meines Gefährten die Nacht aufs furchtbarste zerriß. «Sieh! Sieh!» kreischte sein Ruf mir ins Ohr, «Allmächtiger Gott! Sieh! Sieh!» Er sprach noch, da wurde ich schon der dumpf trüben Rotglut des Lichtes gewahr, das die Innenseite des weiten Wasserkraters, in dem wir lagen, herabströmte und ruckenden Glanz über unser Deck warf. Die Augen aufwärts richtend, erblickte ich ein Schauspiel, darob mir das Blut in den Adern gerann. In einer furchtbaren Höhe, direkt über uns & unmittelbar am Rande des jähen Absturzes, schwebte ein gigantisches Schiff, von schätzungsweise viertausend Tonnen. Obschon auf den Kamm einer Woge erhoben, mehr als hundert Mal so hoch wie es selbst, übertraf seine scheinbare Größe dennoch die jeglichen Linienschiffes oder Ostindienfahrers, der existiert. Sein mächtiger Rumpf war von einem tiefen schmutzigen Schwarzbraun, das keines der bei Schiffen sonst gewohnten Zierraten etwas aufgelockert hatte. 1 einzige Reihe messingner Geschütze sah aus den offenstehenden Stückpforten hervor, und ihre blankgeputzten Oberflächen spiegelten zuckend die Feuer unzähliger Gefechtslaternen wider, die überall in der Takelage hin & her pendelten. Aber was uns hauptsächlich mit Graus & Erstaunen erfüllte, war, daß wir sämtliche Segel gesetzt sahen, dem übernatürlichen Seegang zu ausgesprochenem Trotz & dem unbändigen Orkan nicht minder. Da wir seiner zuerst ansichtig wurden, war nur die Bugpartie zu sehen gewesen, wie es sich langsam aus seinem düster; & schrecklichen Schlunde jenseits hob. Einen Moment entsetzlichster Spannung lang verhielt es in der schwindelnden Höhe, wie in Betrachtung seiner eignen Erhabenheit; dann ein Beben; ein Wanken - und dann kam es herab!   - E.A. Poe, Manuskriptfund in einer Flasche, in (poe)

Süden (5)  Gott, so heißt es, wird vom Süden kommen. Vom Norden der Teufel, vom Süden Gott. Jener haust im Dunkel der Unwissenheit, dieser liebt das Licht der Liebe. Die Kälte des Nordens verengt die Poren des Fleisches, die Wärme des Südens öffnet sie wieder aus ihrer Verkrampfung. Denn was die Eiskälte des Geizes mit gierigem Griff zurückhält, das bietet die freigiebige Liebe mit weitoffenen Händen an. Die alte Schwinge taucht zur Hölle nieder, die neue aber erhebt den Geist.  - Bestiarium, nach dem Ms. Ashmole 1511, Hg. Franz Unterkircher.  Graz 1986

Süden (6)   Ich war in den Pyrenäen, irgendwo nahe am Meer, vielleicht in Vernet, und pflegte dort mit jungen Arbeitern Billard zu spielen, die mir eines Tages vorschlugen, mit ihnen zum Strand zu fahren; sie gaben mir ein Fahrrad, und alle jagten wir auf der Chaussee auf den Rädern los, und die Chaussee fiel gleißend zum Meer hinab, dazu Apfelsinen, Wein, und so wurde diese schwindelerregende Fahrt, Orangen, Wein, Glanz, Hitze, Licht, Durchsichtigkeit, Luft, alles hart wie Diamant. . . und der Süden offenbarte sich meiner nördlichen Natur. Als wir endlich ankamen, war ich so berauscht, daß ich nicht wußte, wie ich das Rad anhalten sollte, und fuhr im Kreis auf irgendeinem kleinen Platz herum.  - Witold Gombrowicz, Eine Art Testament. Gespräche und Aufsätze. Frankfurt am Main 2006 (Fischer Tb. 16758, zuerst 1968)

Süden (7)  Ich habe Dir lange nicht geschrieben, bin indes in Frankreich gewesen und habe die traurige einsame Erde gesehn, die Hirten des südlichen Frankreichs und einzelne Schönheiten, Männer und Frauen, die in der Angst des patriotischen Zweifels und des Hungers erwachsen sind.

Das gewaltige Element, das Feuer des Himmels, und die Stille der Menschen, ihr Leben in der Natur und ihre Eingeschränktheit und Zufriedenheit, hat mich beständig ergriffen, und wie man Helden nachspricht, kann ich wohl sagen, daß mich Apollo geschlagen.

In den Gegenden, die an die Vendee grenzen, hat mich das Wilde, Kriegerische interessiert, das rein Männliche, dem das Lebenslicht unmittelbar wird in den Augen und Gliedern und das im Todesgefühle sich wie in einer Virtuosität fühlt und seinen Durst, zu wissen, erfüllt.

Das Athletische der südlichen Menschen, in den Ruinen des antiken Geistes, machte mich mit dem eigentlichen Wesen der Griechen bekannter; ich lernte ihre Natur und ihre Weisheit kennen, ihren Körper, die Art, wie sie in ihrem Klima wuchsen, und die Regel, womit sie den übermütigen Genius vor des Elements Gewalt behüteten.

Dies bestimmte ihre Popularität, ihre Art, fremde Naturen anzunehmen und sich ihnen mitzuteilen, darum haben sie ihr Eigentümlichindividuelles, das lebendig erscheint, sofern der höchste Verstand im griechischen Sinne Reflexionskraft ist, und dies wird uns begreiflich, wenn wir den heroischen Körper der Griechen begreifen; sie ist Zärtlichkeit, wie unsere Popularität.

Der Anblick der Antiken hat mir einen Eindruck gegeben, der mir nicht allein die Griechen verständlicher macht, sondern überhaupt das Höchste der Kunst, die auch in der höchsten Bewegung und Phänomenalisierung der Begriffe und alles Ernstlichgemeinten dennoch alles stehend und für sich selbst erhält, so daß die Sicherheit in diesem Sinne die höchste Art des Zeichens ist.- Hölderlin an Böhlendorf, ca. November 1801

Süden (8)  Das Rhônetal oberhalb der Provence: ein Land des Übergangs, ein falscher Süden ohne Charakter mit einem windigen gewittrigen und brutalen Klima. Ein Tal, das nur mehr ein allgemeines Verbindungsrohr ist, ein großer Sammelkanal, ein dichtes Gedränge von Straßen, Autobahnen, Gleisen, Oberleitungen, Erdölleitungen, Staudämmen, Schleusen und Seitenkanälen. Eine bedrängte, eingedämmte, abgeteilte, aufgeschüttete, zubetonierte, von Benzindämpfen, Zementstaub und einer rastlos Rauch speienden Industrie verdreckte Natur. Die Berge von Diois am Horizont - ein duftiges, wie auf einen Paravent gemaltes Profil, ein gezackter, dunstverhangener Schirm ohne Tiefe — wirken wie ein Schattenspiel ohne Wirklichkeit, wie die marginale und fragile Laune einer von der Planierraupe vorläufig noch verschonten Natur.

Am Abend in La Voulte Spaziergang an der Rhône entlang, zu der ein steiler Zementkai hinuntertaucht; ebenfalls aus Zement sind die Brücke, das Viadukt und die ganz neuen Wohnanlagen; weißliche Schlieren, Molkereiabfällen ähnlich, lösen sich im stagnierenden Wasser auf: wir sind in der Staustrecke von Baix-le-Logis-Neuf, wo man chemische Abwässer liebt. Gegenüber, auf dem, was eine unbewohnte Insel zu sein scheint, brandet eine spröde und struppige Vegetation, niederes Trümmerfloragestrüpp, gegen die künstlich aufgeschütteten Zementböschungen. Anstatt diesen toten und besudelten Strom, nein, diese Wasserfläche anzuschauen, diese Müllvegetation, die dem Beton als schäbiger Pelz dient (die Gesellschaft der Pflanzen hat es dem Menschen zu verdanken, daß auch sie jetzt ihre Slums besitzt), tun wir besser daran, ins Hotel zurück und schlafen zu gehen. - (grac2)

Süden (9)  Nun sah er diese südländische Landschaft hier mit vielen Gärten an den Hängen. Wald gab's keinen. Voraus ging Diana mit ihren Eltern. Dunkelviolette Feigen hingen an den Bäumen, als wären's kleine, lederige Beutel, und immer wieder ließen Kleinkalibergewehrschützen ihre Gewehre knallen, weil es Sonntag war und sie auf Singvögel Jagd machten.

Eigentlich ungemütlich, immerzu die Burschen hinter sich zu haben (im Bayerischen Wald fühlst du dich wohler). In dieser kahlen, ausgedörrten Landschaft unterm harten Licht des Südens kam er sich wie ausgetrocknet vor, während im Schatten eines Waldes ... Undsoweiter.  - Hermann Lenz, Der Wanderer. Frankfurt am Main 1988 (zuerst 1986)

Süden (10)   Wir hatten  viel Ostwind, der gemeiniglich Nebel und Regen brachte, und uns mehr als einmal in sichtbarliche Gefahr setzte, an den hohen Eis-Inseln zu scheitern. Die Gestalt derselben war mehrentheils sonderbar, und des zertrümmerten Ansehens wegen oft mahlerisch genug. Unter andern kamen wir an einer vorbey die von außerordentlicher Größe war, und in der Mitte ein Grottenähnliches Loch hatte, das durch und durch gieng, dergestalt, daß man das Tageslicht an der andern Seite sehen konnte. Einige waren wie Kirchthürme gestaltet; noch andre gaben unsrer Einbildungskraft freyes Spiel, daraus zu machen was sie wollte, und dienten uns die Langeweile zu vertreiben, die nunmehro sehr Überhand zu nehmen anfieng, weil der tägliche Anblick von See-Vögeln, Meerschweinen, See-Hunden und Wallfischen, den Reitz der Neuheit langst verlohren hatte. Unsrer guten Präservative und namentlich des Sauerkrautes ohnerachtet, zeigten sich bey einigen unsrer Leute nunmehro starke Symptome vom Scorbut, das ist, manche hatten böses Zahnfleisch, schweres Ohtemhohlen, blaue Flecke, Ausschlag, Lähmung der Glieder, und grüne fettichte Filamente im Urin. Es ward ihnen also frische Bier-Würze verordnet, wodurch einige von dieser schrecklichen Krankheit ganz, andere wenigstens zum Theil befreyet wurden. Das rauhe Clima ward auch den Schafen, die wir vom Vorgebirge der guten Hoffnung mitgenommen hatten, sehr nachtheilig. Sie wurden krätzig, fielen zu Haut und Knochen zusammen, und wollten fast gar nicht mehr fressen. Unsre Ziegen und Schweine warfen, aber die Jungen kamen in dem stürmischen Wetter entweder todt zur Welt oder verklammten doch bald darauf vor Kälte.  - (for)

Süden (11) Sie standen bis zur Brust im Pool, sombreros auf dem Kopf, und lasen, bis das Mittagessen gebracht wurde. Für die paar Sekunden, die es dauerte, die Tür aufzumachen und das leere Frühstückstabiett gegen das volle Lunchtablett zu tauschen, zogen sie lange Baumwoll-krepp-Hemden über, die sie von Mabel Parker, Anns bester Freundin, als bon voyage-buen viaje~Geschenk bekommen hatten, streiften sie dann aber sofort wieder ab und stellten das Tablett auf einen Tisch im Schatten. Normalerweise wechselten sie beim Essen kein Wort, normalerweise hob Ann einen von Cullens Füßen zwischen ihre Beine, drückte die Sohle auf ihr GT. Am ersten Tag versuchten sie, sich nach dem Mittagessen auf der Terrasse zu lieben, doch trotz der ausgebreiteten Handtücher war es hart und, sogar im Schatten, heiß wie auf glühenden Kohlen, also zogen sie sich ins Schlafzimmer zurück und unterliefen die Routine, indem sie die Badekleidung des anderen anzogen (seine waren gestreifte Surfer-Shorts, ihre ein Einteiler, den er nur bis zu den Hüften anbekam), dann zogen sie sich gegenseitig aus. Das machte eine Menge Spaß, und sie freuten sich schon darauf, machten es weiter, Tag für Tag für Tag. Anschließend legten sie siesta ein.

Sie wachten auf und gingen schwimmen. Mit Kadima-Schlägern, die sie aus Nueva York mitgebracht hatten, und einem Wiffle-Ball, den sie unerwartet in einem Schrank fanden, spielten sie im Pool ein von ihnen erfundenes Spiel, das sie agua-Polo nannten. Sie lasen. Kauernd wie Affen schlichen sie in das Gebüsch am Rande der Terrasse und beobachteten heimlich die Bewohner der tiefer liegenden casitas, taten, als seien sie Crusoe und Freitag, Kinder aus dem Herrn der Fliegen, Butch und Sundance, Burgess und McLean. Die anderen Gäste waren weiß wie Fischbäuche oder hatten solche Sonnenbrände, daß es schon vom Hinsehen weh tat. - Jerry Oster, Dirty Cops. Reinbek 1994 (zuerst 1992)

Süden (12) Bodin beweist, daß Länder mit einem heißen Klima am meisten von der Melancholie geplagt werden und sich folglich in Spanien, Afrika und Kleinasien so viele geistig Verwirrte finden, daß man sich in allen bedeutenden Städten gezwungen sah, gesonderte Hospitäler für sie einzurichten. Die Menschen sind dort gemeinhin Choleriker, bringen in ihrer normalen Unterhaltung keine zwei Wörter ohne Schimpfen und Fluchen über die Lippen und streiten sich häufig in aller Öffentlichkeit. Nach Gordonius ist die Melancholie in südlichen Ländern ein verbreiteteres Leiden als in nördlichen, obwohl wir auch hier Einschränkungen machen müssen, denn unter dem Äquator liegt, wie Acosta richtig bemerkt, eine klimatisch gemäßigte Zone, ein Paradies der Wonnen, mit immergrünen Pflanzen und erfrischenden Schauern. Allerdings gilt das Gesagte uneingeschränkt für unmäßig heiße Landstriche wie Zypern, Malta, Apulien und das Heilige Land, wo zu gewissen Jahreszeiten nichts als Staub anzutreffen ist, die Flüsse austrocknen, die Luft kocht und die Erde verbrannt ist. Viele Pilger, die den Weg von Jaffa nach Jerusalem aus Frömmigkeit barfuß auf dem glühenden Sand zurücklegen, haben darüber schon den Verstand verloren oder sind von den Sandstürmen begraben worden, die bei Westwind weite Teile Afrikas, die arabischen Wüsten und Baktrien, das heute Khorasan heißt, heimsuchen. Den Grund der Melancholie so vieler venezianischer Frauen sieht Hercules de Saxonia, Professor ebendort, darin, daß sie sich zu lange in der Sonne aufhalten. - (bur)

Süden (13)  Das Gemeine in alledem, was im Süden Europas gefällt — sei dies nun die italienische Oper (zum Beispiel Rossinis und Bellinis) oder der spanische Abenteuerroman (uns in der französischen Verkleidung des Gil Blas am besten zugänglich) — bleibt mir nicht verborgen, aber es beleidigt mich nicht, ebensowenig als die Gemeinheit, der man bei einer Wanderung durch Pompeji und im Grunde selbst beim Lesen jeden antiken Buches begegnet: woher kommt dies ? Ist es, daß hier die Schäm fehlt und daß alles Gemeine so sicher und seiner gewiß auftritt wie irgend etwas Edles, Liebliches und Leidenschaftliches in derselben Art Musik oder Roman? „Das Tier hat sein Recht wie der Mensch: so mag es frei herumlaufen, und du, mein lieber Mitmensch, bist auch dies Tier noch, trotzalledem!"

— das scheint mir die Moral der Sache und die Eigenheit der südländischen Humanität zu sein. Der schlechte Geschmack hat sein Recht wie der gute, und sogar ein Vorrecht vor ihm, falls er das große Bedürfnis, die sichere Befriedigung und gleichsam eine allgemeine Sprache, eine unbedingt verständliche Larve und Gebärde ist: — der gute gewählte Geschmack hat dagegen immer etwas Suchendes, Versuchtes, seines Verständnisses nicht völlig Gewisses — er ist und war niemals volkstümlich! Volkstümlich ist und bleibt die Maske! So mag denn alles dies Maskenhafte in den Melodien und Kadenzen, in den Sprüngen und Lustigkeiten des Rhythmus dieser Opern dahinlaufen! Gar das antike Leben! Was versteht man von dem, wenn man die Lust an der Maske, das gute Gewissen alles Maskenhaften nicht versteht! Hier ist das Bad und die Erholung des antiken Geistes: — und vielleicht war dies Bad den seltenen und erhabenen Naturen der alten Welt noch nötiger als den gemeinen. -Dagegen beleidigt mich eine gemeine Wendung in nordischen Werken, zum Beispiel in deutscher Musik, unsäglich. Hier ist Scham dabei, der Künstler ist vor sich selber hinabgestiegen und konnte es nicht einmal verhüten, dabei zu erröten: wir schämen uns mit ihm und sind so beleidigt, weil wir ahnen, daß er unsertwegen glaubte hinabsteigen zu müssen.  - Friedrich Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft (1882)

Süden (14) »O diese Händler und Wucherer der Welt! Sie wollen uns nach ihrem Bilde formen, uns, die braunen Völker der heißen Länder, uns, die glutvollen Völker, die noch fähig sind, glücklich zu sein und das Leben zu genießen in einer Welt, in der das allemal seltener wird. Es wäre mir lieb, wenn sie uns unser Leben genießen lassen würden, das sie als schmutzig betrachten, wenn sie uns unserem Tod begegnen lassen würden, den sie als unvernünftig ansehen. Sie sollten dort bleiben, wo sie sind, mit ihrem in Jahrhunderten törichter zäher Arbeit aufgehäuften Reichtum, mit ihrer in Maschinen und Geld akkumulierten Macht, mit ihren puritanischen Idealen von Hygiene und Tugend. Aber nein! Sie müssen uns unbedingt ihre Produkte verkaufen, um noch mehr Geld anzuhäufen. Sie versuchen, uns zu korrumpieren, um uns zu beherrschen, unter dem Vorwand, wir seien barbarische Jugendliche, ebenso bezaubernd wie unverantwortlich, die man am kurzen Zügel halten müsse, weil sie sonst die Weltordnung durcheinanderbrächten und beschmutzten. Zum Beweis erklären sie, wir, und vor allem die Leute aus dem Volk, die Ärmsten, die am meisten an den morgigen Tag denken müssen, seien unfähig zur Sparsamkeit. Wir lassen uns willig von Hunger und Krankheiten aufzehren, sofern wir nur singen und ohne Sorge für die Zukunft unserer heißen und strahlenden Länder tanzen können. Dann kommen sie unter dem Vorwand, uns vor diesem schmachvollen Leben retten zu wollen, und verderben uns und plündern uns aus. Sie verkaufen uns gleichzeitig die Produkte für unsere Hygiene und die Ideale einer auf der Grundlage bürgerlicher Sparsamkeit, des Sparstrumpfs, der harten, unmenschlichen Arbeit organisierten Welt. Aber alles, was sie uns übermitteln, sind die faulen Früchte ihrer Unfähigkeit zum Genuß, zur Freude, zum animalischen Glück. Diese Händlervölker, die traurigsten der Welt, die unter Kälte, Dunkelheit und dem strengen Unglück puritanischer Ideale geboren und auferzogen wurden, wollen uns ihre Lebensrezepte aufdrängen, uns, den braunen, in der Sonne aufgewachsenen Völkern. Wie sollten sie uns je verstehen können? Der Neger, der sich im ,Kriegerspiel' als König verkleidet, weiß, daß er fast alles ausgegeben hat, was er besaß, um sich Mantel und Krone kaufen zu können, aber er glaubt, die Freude, ihn anzuziehen, sei eine größere Belohnung als der bezahlte Preis. Der Indiomischling, der Arbeiter in den Zuckerfabriken, -weiß, daß der verseuchte Fluß voll tödlicher Krankheiten steckt, die ihn aufschwellen und seine Eingeweide aufzehren und sein Herz mit den Kalkablagerungen für das menschliche Blut gefährlicher Tierchen verstopfen werden. Er weiß von al-ledem, denn er sieht Tag um Tag seine Gefährten aufschwellen und also sterben. Aber er glaubt, daß er in seinem elenden, aussichtslosen Leben nur etwas zu essen findet, wenn er in den Fluß steigt; und dann weiß er, daß er nur wenige Freuden hat, die dem wilden Vergnügen eines Bades im Fluß zur Mittagszeit gleichen, wenn er ermüdet ist und unter der Sonnenhitze schwitzt. Der Sertão-Bewohner wiederum weiß, daß er sterben muß, wenn er das freie Leben der Buschsteppe, das Nomadenleben des Cangaceiros wählt. Aber er weiß auch, daß er, wenn er dieses unsichere Leben und den sicheren Tod auf sich nimmt, Anrecht auf das hat, was er nie besaß: ein Leben ohne Herrn ein Leben als Herr, ohne Sklavenarbeit. Deshalb macht es ihni nichts aus, verfolgt wie ein tollwütiger Hund zu leben. Er weiß, das ist der Preis, den er bezahlen muß, um Frauen zu besitzen von denen er zuvor nicht einmal träumen konnte, die Töchter mächtiger Männer, schön und stolz, die ihre Augen über ihn hingleiten ließen, ohne ihn überhaupt wahrzunehmen, als ob er überhaupt nicht vorhanden wäre, und die ihn jetzt entsetzt, erschreckt und verwirrt ansehen. Mit seiner Lederrüstung und den silbernen Insignien seines Königtums erscheint er ihnen nicht mehr als ein verächtliches Wesen, sondern als der furchterregende Herr seiner Ehre und seines Schicksals, der Abgesandte eines grausamen, kriegerischen Lebens, das fasziniert und erschreckt. Sie alle sind Männer des Adels, verbannt und herabgewürdigt zu einem schmachvollen Leben. Wer hat das Recht, sie anzuklagen und zu beschuldigen, wenn sie sich erheben und ein anderes Leben suchen, das besser zu den Trieben und der Rasse ihres Blutes paßt? Wer hat das Recht, ihre Wahl zu mißbilligen und sie im Namen der Ideale der traurigen harten Völker der Sonntagsbürger zu verdammen, die sich von ihren Pastoren, von der öffentlichen Meinung, von der Philanthropie der Tierschutzgesellschaften und von der Hygiene erschrecken lassen? Wie können diese Gemeindemitglieder die wilde Freude eines Stier- oder Hahnenkampfes erfassen, den Genuß und den Zauber des Kampfes, die Wetten, das Spiel, das Fest, die Heiligung des unschuldigen, grausamen Lebens? Sie werden nie verstehen, daß der grausame Tod eines Stieres oder eines Hahns aufgewogen wird durch die Freude einer Handvoll Menschen; sie lassen das nicht gelten, weil sie ihre Regeln und philanthropischen Formeln höher schätzen als die Freude der Menschen. Wir werden es nie nötig haben, das Bild des Menschen zu verfälschen, um es lieben zu können. Denn unter der harten Sonne lernen wir zwangsläufig, es zu lieben, mit seiner Glut und Glorie, aber auch mit seiner Entwürdigung, seinem Blut und seinem Schmutz. Das Grausame und Schmutzige gehört auch zum Leben hinzu, und man muß ihm mit den Waffen des Gelächters und des Kampfes begegnen, mit der tapferen Zähigkeit des Menschen gegenüber den chaotischen Mächten des Lebens, gegenüber Leiden, Demütigung und Tod.«  - (stein)

Süden (15) 

Süden (16)  »Ihr Blondköpfe! - Ihr Blauaugen! Ihr jungen stolzen Leute, vor deren >Guten Abend, mein schönstes Kind!< im dröhnenden Baß gesprochen, die keckste Dirne erschrickt, kann denn euer im ewigen Winterfrost erstarrtes Blut wohl auftauen in dem wilden Wehen der Tramontana oder in der Glut eines Liebesliedes? Was prahlt ihr mit eurer gewaltigen Lebenslust, mit euerm frischen Lebensmut, da ihr doch keinen Sinn in euch traget für den tollsten, spaßhaftesten Spaß alles Spaßes, wie ihn unser gesegnetes Karneval in der reichsten Fülle darbietet? - Da ihr es sogar wagt, unsern wackern Pulcinell manchmal langweilig, abgeschmackt zu finden und die ergötzlichsten Mißgeburten, die der lachende Hohn gebar, Erzeugnisse nennt eines wirren Geistes!« - So sprach Celionati in dem »Caffè greco«, wo er sich, wie es seine Gewohnheit war, zur Abendzeit hinbegeben und mitten unter den teutschen Künstlern Platz genommen, die zur selben Stunde dies in der Strada Condotti gelegene Haus zu besuchen pflegten und soeben über die Fratzen des Karnevals eine scharfe Kritik ergehen lassen. - E. T. A. Hoffmann, Prinzessin Brambilla  (zuerst 1820)

Süden (17)   Den Mittelmeerländern fehlt ihr China, sein Löß, seine Ruhe, die Jahrtausende trägt. Denken Sie vor ihm: Marseiile, Turin, Tel Aviv - alles Zentren von Progrès moral und Soziologie, von Geschichtsbildung und theoretischen Destillationen -, demgegenüber sehnt man sich geradezu nach einem Land, in dem die Erde die Handlung führt mit Sonne, Mond und Meer, man sehnt sich nach Häfen, die nach Kopra riechen. Weichlich diese Bucht von Sorrent, Kulissenzauber für ästhetisches Halbblut! Schon bei dem korinthischen Kapital begann das Deg£nere, Feuilletonismus gegenüber der Realität des alten sturen dorischen Klotzes!

Mignons Süden, der Süden Goethes und Byrons liegt heute in Tahiti und Fakavara: da die Mänaden, sie kauen Betel, und Bacchen, fett von Kokos.

Die Antike ist zu Ende, als wir anfingen, warfen die Ausgrabungen noch einmal ihren Glanz empor, heute ist sie durch alle die neubezogenen Orestdramen und Antigone-tragödien nicht mehr zu erwecken - ein Rinnsal, von dessen drei Quellen der demokratisierte moderne Blick verlegen fortsieht: Sklaverei, Knabenliebe und die gemeine Zwietracht der Städte.

Auf die Kreuzzüge wirft man noch gelegentlich ein Auge, weil sie das Ambraöl brachten und den Reliquienhandel erschlossen, - ich besuchte Aigues-Mortes, von wo der erste ausging, ein fahles Fieberloch, mich befiel weder Kreuz noch Feuer. - Gottfried Benn, Drei alte Männer. In: G. B., Prosa und Szenen. Ges. Werke Bd. 2. Wiesbaden 1962

Himmelsrichtung Sehnsucht

 

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