ub-Seele Diesmal waren es nicht Argumentationen und Schmähreden wie zu vor, sondern eine Litanei, eine an die Millionen unglücklicher Wesen in der ganzen Welt gerichtete Diktaphonlitanei. Dr. Kronski stimmte immer im Dunkeln diese Melodie an, seinen Kopf im Schoß irgendeiner Frau, wobei seine Hand schlaff auf den Teppich herabhing.
Während sein Kopf sich in ihren Schoß einnistete wie eine giftgeschwollene
Viper, drangen die Worte aus Kronskis Mund wie Gas,
das aus einem halbgeöffneten Hahn ausströmt. Es war das Verhängnis des unwandelbaren
menschlichen Atoms, das Wandern der Sub-Seele irr Keller des kollektiven Elends.
Dr. Kronski hörte auf zu existieren. Nur Pein und Qual blieben, verhielten sich
wie positiv und negativ geladene Elektronen in dem großen atomaren Vakuum einer
verlorenen Persönlichkeit. In diesem Schwebezustand vermochte nicht einmal die
wunderbare Sowjetisierung der Welt einen Funken von Begeisterung in ihm zu wecken.
Was sprach, waren die Nerven, die endokrinen Drüsen, die Milz, die Leber, die
Nieren, die kleinen, dicht unter der Hautoberfläche liegenden Blutgefäße. Die
Haut selbst war nichts anderes als ein Sack, in den lose eine ziemlich kunterbunte
Sammlung von Knochen, Muskeln, Sehnen, Blut, Fett, Lymphe, Galle, Urin, Kot
und so weiter hineingestopft war. Mikroben brodelten in diesem stinkenden Eingeweidesack.
Die Mikroben würden den Sieg davontragen, wie glänzend auch dieses Behältnis
stumpfgrauer Materie, Gehirn genannt, funktionierte. Der Körper
war ein Unterpfand des Todes und Dr. Kronski, so vertraut
in der Röntgenwelt der Statistiken, wa: nur eine Laus, die unter einem schmutzigen
Nagel geknackt wurde, wenn es so weit war, daß er seine Hülle aufgeben mußte.
Es kam Dr. Kronski bei diesen Anfällen genito-urinärer Depression nie in den
Sinn, daß es auch eine Anschauung vom Universum geben könnte, bei welcher der
Tod einen anderen Aspekt einnahm. Er hatte so viele Leichen
ausgeweidet, seziert und in Stücke zerlegt, daß der
Tod für ihn jetzt etwas sehr Konkretes bedeutete - ein Stück kaltes
Fleisch, das sozusagen auf einer Steinplatte in der Leichenhalle lag. Das
Licht erlosch, und die Maschine blieb stehen - und nach einiger Zeit begann
es zu stinken. Voilà, so unkompliziert und einfach war das. Im Tod war das lieblichste
Geschöpf, das man sich vorstellen konnte, nur eben ein weiteres Stück ungewöhnlich
kalter Installation. Er hatte seine Frau ia betrachtet, gerade als der Fäulnisprozeß
eingesetzt hatte: Sie hätte ein Stockfisch sein können, deutete er an, nach
den anziehenden Reizen, die sie entfaltete. Der Gedanke an den Schmerz, den
sie litt, wurde von dem Wissen in den Schatten gestellt, was in diesem Körper
vorging. Der Tod hatte bereits seinen Einzug gehalten, und sein Zerstörungswerk
zu beobachten war faszinierend. Der Tod ist immer gegenwärtig, versicherte er.
Der Tod lauert in finsteren Ecken und wartet nur auf den geeigneten Augenblick,
sein Haupt zu erheben und zuzuschlagen. Das ist die einzige wirkliche Bindung,
die wir haben, beteuerte er - die immerwährende, dauernde Gegenwart des Todes
in uns allen.
- Henry Miller, Sexus. Reinbek bei Hamburg 1980 (zuerst 1947)
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