uada
"Guten Tag. Wie geht es? Ich ging gerade unten vorbei, als
mir einfiel, daß Sie hier wohnen. Sie wundern sich wohl, daß ich mittags zu
nachtschlafender Zeit herumgeistere? Tja, es ist sonderbar: wenn man schon einmal
vor dem Einschlafen sich vornehmen muß, zeitig aufzustehen,
kann man überhaupt nur ein paar Stunden schlafen. Ich war schon um zehn Uhr
im Café. Phantastisch! Hören Sie, heiter: um vier Uhr werde ich bei Herrn Moriz
Cohen sein, Handschuh-Engrossisten in Charlottenburg, Besitzer einer wunderschönen
Tochter, die nicht Klavier spielt, obwohl sie es miserabel kann, und ansonsten
leicht orientalisch träg ist und weich. Impression Harem, angenehm entfernt.
Und wenn man sich retiriert und dabei die erforderliche Vorsicht außer acht
läßt, kann man in der Küche ein Dingerchen seinem Zweck zuführen, also glatt
süß ... O, Sie sind sehr blaß. Vielleicht krank? Nicht? Sehr angenehm. Man macht
ja doch stets unglückliche Figur vor fremdem Leid. Sie müssen wissen: parate
Sätze liebe ich über alles; man genießt sich da viel mehr. Apropos: ich erinnere
mich, daß Sie auch in der Nacht, als wir uns kennen lernten, sehr schweigsam
waren. Hm, Schweigen. Ist Gold. Gewiß. Aber die alten Sprichwörter
haben leider den Vorteil, daß ihre Wahrheit über den Leisten nicht hinausgeht.
Ich meine, sie fangen vom Schuster aufwärts an, falsch zu sein. Alles ist relativ.
Auch das Schweigen. Zwar: es wirkt im Anfang, speziell bei sachgemäßer Inszenierung,
enorm, im Superlativ sogar heillos respekterzeugend; aber es ist zeitlich und
individuell scharf begrenzt. Wird diese Linie überschritten, so wird bestenfalls
der Abbruch menschlicher Beziehungen bewirkt, schlimmstenfalls aber ist es ein
geistiges Armutszeugnis mit Auszeichnung. Zugegeben: die unumgehbare Entsetzlichkeit
des Schondagewesenen. Ach, auch Goethe war kaum
bei jeder Verrichtung geistvoll, und da die Scherzfrage, wer der Kaiser von
Europa sei, prompt mit 'die Phrase' zu beantworten ist, muß eklatant sein, daß
unsereiner die Verpflichtung hat, erfrischend zu wirken. Es strengt doch wahrhaftig
nicht an. Apropos: wie gefällt Ihnen Frau Kroll? Klasse! Hochzucht! Nun? Entre
nous: was von ihr im Café kolportiert wird, ist zweifellos erlogen. Ein Frauenzimmer,
das chronisch pumpt, läßt sich nicht bezahlen. Gewiß, sie hurt. Das ist mehr
als ein billiges Recht des Weibes. Das ist seine schwerst
ethische Verpflichtung. Es ist aber gänzlich ausgeschlossen, daß dieses Weib
wahllos ist. Sie fliegt, wie alle erstklassigen Weiber, auf den geistig hochwertigen
Mann, sollte er auch mißgestaltet sein. Was freilich eine contradictio in adjecto
ist. Kein einziger von diesen eitlen, körperlich lachhaften Kaffeehaushasen
hat sie besessen. Man braucht doch bloß hinsehen, wie sie das Weib adorieren.
Diese Trottel! Diese kubierten Idioten! Sie ahnen nicht, daß solch ein Weib
ein totsicheres Gefühl für seine eigene Minderwertigkeit hat: je vorbehaltloser
ein Mann es bewundert, desto eher ist es geneigt, ihn für minderwertig zu halten.
Und das Rezept, das, richtig dosiert, sogar einen Affen
ins Bett der Gräfin Rasurgi (die Sie sicherlich wenigstens par distance kennen)
lanzieren könnte, ist doch gar nicht kompliziert: man vertreibe ihr die Langweile,
das große Erbübel, an dem jedes Weib in allen Nuancen laboriert. Kenner erreichen
hier in einer halben Stunde mit dem blühendsten Biographiekohl mehr als Oberlehrer
mit jahrelanger Mondbenützung. Apropos: wie halten Sie es denn? Ne jute Jegend
Balin, wat? Schon erfaßt, wie mich dünkt. Geben Sie
acht, mein Geschätzter, die Lues soll immer noch nicht herzig sein. ..."
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Walter Serner, Eine eigenartige Konversation. In: W. S, Zum blauen Affen.
Dreiunddreißig Kriminalgeschichten. München 1983 (dtv 10176, zuerst 1921)
Suada (2)