Stummelschwanz  »Der Schwanzstummel, Ew. Ehren. Haben Sie nie die unverschämten Pernambucaner sagen hören, wir Paraibaner hätten einen Stummelschwanz?«

»Das schon. Aber wie kann ein Bibliothekar und gebildeter Mann wie Sie auf solche Behauptungen hereinfallen?«

»Ew. Ehren, wie könnte ich nicht darauf hereinfallen, wo ich doch selber einen Stummelschwanz habe?«

»Was für eine Narrheit!« ereiferte sich der Richter ungeduldig. »Diese Geschichte stammt aus längst vergangenen Zeiten, Herr Quaderna! Hier in Paraiba, das wissen Sie vielleicht nicht, heirateten manche Einheimische Ehepartner jüdischen Blutes, die sogenannten >Neuchristen<. Die berühmte Branca Dias gehörte dazu. Deshalb mußte die Inquisition hier in Paraiba mit größerer Energie vorgehen als in Pernambuco.« Als er das sagte, fiel mir sogleich Professor Clemens ein, der ständig den Inquisitor Furtado de Mendonca im Munde führte. »Deshalb haben die Pernambucaner diese Geschichte ausgeheckt. Sie behaupten, alle Paraibaner hätten jüdisches Blut in den Ader und also einen Pakt mit dem Teufel geschlossen, und das sei de Grund dafür, daß sie alle einen kleinen Stummelschwanz ge erbt hätten, den Stummelschwanz, den ihnen ihre jüdischei Ahnen vermachten. Die Pernambucaner sagen das in abschät zigem Ton, das stimmt. Aber andererseits ist es auch ein Lob weil dieses Teufelsschwänzchen uns unruhig, unternehmungs lustig und listig macht. Es ist ein Lob für den unermüdlichei Unternehmungsgeist der Paraibaner«, schloß er mit patriotischem Stolz.

»Ich will gern glauben, Ew. Ehren, daß es ein Vorteil für uns Paraibaner und ein Lob von Seiten der Pernambucaner ist. Vor allem weil die Abstammung vom Teufel etwas sehr Ehrenvolles sein kann, je nach dem Typus Teufel, von dem man abstammt, Mein Bruder, der Holzschnitte anfertigt und Flugschriften damit bebildert, zeichnet seine Teufel in Gestalt von Jaguaren, Schweinen und Böcken. Einmal hat er sogar nach einer Illustration in der ›Geschichte Brasiliens‹ von Bruder Vicente do Salvador eine Zeichnung von Ipupriapa, einer Teufelsfrau vom Meer und von der Küste, angefertigt, ein abscheuliches Untier, das übrigens eine bedeutende Rolle bei der von mir unternommenen Meeresodyssee gespielt hat und in mein Epos übernommen worden ist. Schauen Sie her, Herr Richter: hier sind einige dieser Holzschnitte. Ich darf Ew. Ehren bitten, sie den Prozeßakten beizufügen.«

Der Richter besah sich die Holzschnitte teilnahmslos und reichte sie Margarida weiter, die sie neben ihre Schreibmaschine legte, ohne sie näher in Augenschein zu nehmen. Dann fuhr ich fort:

»Trotz alledem und auch wenn ich jüdisch-sertãohaft, maurisch-rot und neger-iberisch auf ihn stolz bin, schädigt mich der Stummelschwanz ganz gewaltig. Zunächst einmal: ich habe ihn wirklich, Herr Richter: der Knochen an meinem Rückenende zwischen den beiden Hinterbacken zeigt einen kleinen Auswuchs, einen kleinen jüdischen Sertäo-Schwanz, mit einem Wort, eben den Stummelschwanz. Und außerdem: ob nun der Schwanz daran schuld ist oder ob ich mehr jüdisches Blut in mir habe als die gewöhnlichen Paraibaner, Tatsache ist, daß es mir die größten Schwierigkeiten macht, länger als fünf Minuten auf der gleichen Stelle sitzen zu bleiben: der Stummelschwanz beginnt dann, sich unwohl zu fühlen, der Hintern schmerzt mich, und ich beginne, an einer Umnebelung meiner Sinne, an einer Gereiztheit meines ganzen Wesens zu leiden, die nur vorbeigeht, wenn ich aufstehe und etwas unternehme.«   - (stein)

Stummelschwanz (2)
 

Schwanz

 

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