Student, pfälzischer  Itzig Faitel war ein kleiner untersetzter Mann mit rechts etwas höher stehender Schulter und einer spitz zulaufender Hühnerbrust, auf welch' letzterer er immer eine breite, schwerseidene Plastron-Cravatte trug, die ein matter Achat zierte. Die Rockpatten zu beiden Seiten dieser Cravatte liefen immer von rechts oben nach links unten, so daß, wenn Faitel längs der Randsteine gmg, es den Eindruck machte, er steure über das Trottoir hinunter, oder gehe im Diagonal. Faitel wollte nicht einsehen, daß diese Configuration seiner Kleider von der rhombischen Verschiebung seines Brustkastens herrühre, und schimpfte fürchterlich auf die christlichen Schneider. Die Stoffe, welche Faiteles trug, waren stets der feinste Kammgarn. Das Antlitz Itzig Faitel's war von höchstem Interesse. Leider hat es Lavater nicht gesehen. Ein Gazellen-Auge von kirschen-ähnlich gedämpfter Leuchtkraft schwamm in den breiten Flächen eine sammtglatten, leicht gelb tingirten Stirn- und Wangen-Haut. Daß es troff, da konnte Faiteles nichts dafür. Itzig's Nase hatte jene hohepriesterliche Form, wie sie Kaulbach in seiner ›Zerstörung Jerusalems‹ der vordersten und markantesten Figur seines Bildes verliehen; zwar waren die Augenbrauen darüber zusammengewachsen ; aber Faitel Stern versicherte mich, das sei sehr beliebt; auch wußte er, daß Leute mit solchen Augenbrauen einmal ersaufen sollen; aber er paralysirte es, indem er versicherte, er gehe niemals auf's Wasser. Die Lippen waren fleischig und überfältig; Zähne vom reinsten Crystall, zwischen denen eine bläulich-rothe, fette Zunge oft zur Unzeit herauskam. Kinn und Oberlippe war Alles bartlos; denn Faitel Stern war noch sehr jung. Erwähne ich noch von meines Freundes Untergestell so viel, daß es Säbelbeine waren, deren Schwung jedoch nicht excessiv war, so glaube ich Itzig's Silhouette einigermaaßen gezeichnet zu haben. Auf die geringelten zahlosen schwarzen Sechserlöckchen seines Haupthaars komme ich später noch zu reden. - Das also war der Studiosus Stern in der Ruhe. Aber wer hilft mir, welcher Clown, welcher Dialect-Imitator, welcher Grimasseur, Itzig darzustellen, wenn er ging, wenn er sprach und agirte. Itzig sagte mir wohl, er stamme von einer französischen Familie ab, und sei französisch erzogen; er sprach wohl etwas, wenn auch mechanisch ganz verschobenes Französisch; aber das Unglück war, daß Itzig zu früh in die nahe Pfalz kam, und die prononcirten Laute dieses Stamms mit einer Gier einschlürfte, als wäre es Milch und Honig. Wohl konnte Faiteles auch Hochdeutsch reden; aber dann war es eben nicht Faiteles, sondern eine Zierpuppe. Wenn Faitel für sich war, und sich nicht zu geniren brauchte, dann sprach er Pfälzisch und - noch etwas. Doch vorher noch einige Bemerkungen über seine Gangart und Agitationes. - Itzig hob immer beide Schenkel fast bis zur Nabelhöhe beim Gehen, so daß er mit dem Storch einige Aehnlichkeit hatte; dabei steckte er den Kopf tief auf die Plastron-Cravatte herab, und sah starr auf den Boden. Man konnte wohl glauben, er könne die Kraft zum Heben der Beine nicht bemessen, und überschlage sich; und bei Rückenmarkskrankheiten kommen ja ähnliche Störungen vor; Itzig war aber nicht rückenmarkskrank, denn er war jung und geschont; als ich ihn einmal frug, warum er so extravagant gehe, sagte er »daß ich vorwärts komm'!«  - Oskar Panizza, Der operirte Jud. In: Ders., Der Korsettenfritz. Geschichten. München 1981 (zuerst ca. 1905)
 
 

Student Pfälzer

 

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