Ein fester Charakter, ein Mann, der sich vor Anmaßung und vor Verrat zu hüten weiß, der ist voller Rücksicht gegen die Geliebte. ›Ich habe meine Jahre bei ihr abgedient‹, so denkt er — und vielleicht sogar mit Recht —, ›und darum hat diese Frau jetzt meinem Leib den Lohn verheißen: So liege ich nun hier. Es wäre mir früher immer als große Gunst erschienen, auch bloß mit meiner Hand ihr Kleid anzufassen. Wenn ich jetzt haben wollte, was nur Gier sich wünschen kann, so würde ich's kriegen, aber es wäre nicht anständig. Soll ich sie denn quälen und so uns beiden Schande machen? Eine Dame hat das Recht, angenehm unterhalten zu werden vor dem Einschlafen.‹
So lag er da, der Wâleise, wenig Schreckliches war jetzt an ihm: Er, den man den Roten Ritter nannte, ließ die Königin Jungfrau bleiben.
Sie aber glaubte, sie wäre nun seine Frau. Sein liebenswerter Leib war ihr Grund genug, sich für verheiratet zu halten. Am Morgen band sie sich deshalb die Haube. Sie übergab ihm Burgen und Land, die jungfräuliche Braut, denn sie liebte ihn von Herzen.
So hielten sie es und waren einander gut und waren glücklich, zwei Tage und
die dritte Nacht. Oft dachte er daran, was seine Mutter
vom Umarmen gesagt hatte, und Gurnemanz
hatte ihn auch gelehrt, Mann und Frau seien eins. So strickten sie endlich Arme
und Beine ineinander. Wenn ich euch das erzählen
soll, so sag ich nur: Er fand da süße Nähe. Sie taten nach dem alten, neuen
Brauch, und ihnen war wohl und nicht weh. - Wolfram von Eschenbach,
Parzival. Frankfurt am Main 1993 (zuerst ca. 1200, Übs. Peter Knecht. Die Andere
Bibliothek 100)
|
||
|
|
|
|
|