tock
Wehmüller schob seine Palette
unter den Wachstuchüberzug auf seinen runden Hut, wie die Bäcker in den Zipfel
ihrer gestrickten spitzen Mützen eine Semmel zu stecken pflegen, und begann
seinen Reisestab zusammenzurichten, der ein wahres Wunder der Mechanik, wenn
ich mich nicht irre, von der Erfindung des Mechanikus Eckler in Berlin, war;
denn er enthielt erstens: sich selbst, nämlich einen Reisestock; zweitens: nochmals
sich selbst, einen Malerstock; drittens: nochmals sich selbst, einen Meßstock;
viertens: nochmals sich selbst, ein Richtscheit; fünftens: nochmals sich selbst,
ein Blaserohr; sechstens: nochmals sich selbst, ein Tabakspfeifenrohr; siebentens:
nochmals sich selbst, einen Angelstock; darin aber waren noch ein Stiefelknecht,
ein Barometer, ein Thermometer, ein Perspektiv, ein Zeichenstuhl, ein chemisches
Feuerzeug, ein Reißzeug, ein Bleistift und das Brauchbarste von allem, eine
approbierte hölzerne Hühneraugenfeile, angebracht; das Ganze aber war so eingerichtet,
daß man die Masse des Inhalts durch den Druck einer Feder aus diesem Stocke,
wie aus einer Windbüchse, seinem Feind auf den Leib schießen konnte. - Clemens
Brentano, Die mehreren Wehmüller und ungarischen Nationalgesichter (1817)
Stock
(2) Er ging nie ohne einen Spazierstock, dieses letzte Überbleibsel
des einst von den Rokokokavalieren durch die Rocktasche gesteckten Zierdegens.
(In Amerika längst außer Mode, galt der Stock in Deutschland immer noch als
Zeichen eines «Herrn» — und in Verbindung mit Handschuhen und Ledermappe als
Zeichen eines Ex-Korpsstudenten, Generaldirektors oder Bergsteigers. Mit einem
Wort, er war ein Symbol von etwas Höherem.) In Sternbergs Hand aber war jener
einfache Spazierstock mehr noch als bloße Imitation einer europäischen Sitte.
Er war eine Art Fetisch für seinen Besitzer, ein Zauberstock, der Glück brachte,
wenn er getragen, und Unglück, wenn er einmal stehengelassen oder vergessen
wurde. Es hieß, daß sich eines Tages, während Josef einen neuen Film drehte,
jener merkwürdige Stock von selbst unsichtbar gemacht hätte und trotz verzweifelten
Suchens nirgends auffindbar gewesen sei. Und richtig: der Film fiel durch. Nachher
sei der Spazierstock plötzlich wieder zum Vorschein gekommen. - George Grosz, Ein kleines Ja und ein
großes Nein. Sein Leben von ihm selbst erzählt. Reinbek bei Hamburg 1986, zuerst
1955
Stock (3) Barbey d'Aurevilly stand Pate für die Spazierstock-Sammlung, aus der Grosz für seine verschiedenen öffentlichen Auftritte wählen konnte. Der Spazierstock galt, so Grosz, als Zeichen eines »Herrn« und als Symbol von etwas Höherem. Die Etikette verurteilte die Spazierstock-Sammlung als Zeichen dandyhafter Neigungen und dürfte Grosz in seinem Tun bestärkt haben. Der Herr »wird, wenn er einen Luxus im Anzug betreibt, diesen in der Wahl und dem Quantum seiner Oberhemden äußern, allenfalls in der Anschaffung einiger Sakkos, aber nie im Behang mit Schmuck oder in einer Spazierstocksammlung«. Wenn Grosz auf der Terrasse im Café des Westens mit einem »schwarzen dünnen Stock, der als Knauf einen elfenbeinernen Totenkopf hatte«, in der Luft herumfocht, so sprach aus diesem aggressiven Akt öffentlicher Raumnahme eine nihilistische Verachtung der Mitmenschen, die mit dem Verhalten eines Gentleman nicht mehr in Einklang stand.
Bild: Marta Astfalk-Vietz
Zu Anfang des 19. Jahrhunderts, als sich der Spazierstock als
Ersatz für den Zierdegen durchzusetzen begann, mußte der Gentleman in der Kunst
seiner Handhabung erst noch unterwiesen werden. »Der Spazierstock oder der geschlossene
Schirm sind so nahe als möglich am Körper zu tragen, möglichst an der Vorderseite
und konstant in senkrechter Position.« Das Fechten, Argumentieren und Herumwirbeln
mit dem Stock wurde als grober Verstoß gegen die Integrität der Mitmenschen
in Text und Bild kritisiert. - Aus: Peter-Klaus Schuster (Hg.), George
Grosz - Berlin New York. Ausstellungskatalog Berlin 1994
Stock (4)
Stock
(5)
Orestheus, der »Bergmann«, besaß eine Hündin,
von der erzählt wurde, daß sie einen Stock gebar. Orestheus begrub den Stock,
und es stellte sich bald heraus, daß es der erste Weinstock war. So konnte auch
die Hündin keine andere sein als der Hund am Himmel, der Sirius, der den Wein
reifen läßt. Der Sohn dieses Orestheus, der nicht »Bergmann« genannt wurde,
weil er im Innern der Berge hauste, sondern wahrscheinlich, weil er mit seiner
Hündin das Leben eines Jägers führte, hieß schon Phytios, der »Pflanzer«, und
dessen Sohn Oineus. - (kere)
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