Stillen im Lande, Die  ‹Die Gedanken sind frei› heißt der Kehrreim eines alten deutschen Liedes. Das hat zu allen Zeiten und in aller Welt gegolten. Allerdings nur, solange diejenigen, die sie denken, ihre Gedanken für sich behalten. Es sind die Stillen im Lande, die in kleinen, geschlossenen Kreisen, in abgelegenen Tälern alte Gedanken wachhalten, neue Ideen vordenken, welche im Augenblick, sei es bei der Obrigkeit, sei es bei der Allgemeinheit, verpönt sind. Diese Stillen sind zwar ihrer Überzeugung wegen in Zeiten, in denen Gedanken- und Überzeugungskämpfe tobten, oft verfolgt worden, haben aber in ruhigen Zeiten meist als ungefährlich gegolten — eben weil sie so still waren, weil sie nur dachten.

In unserem Jahrhundert sind sie zu einer Gefahr geworden. Denn es sind-nun nicht mehr nur Einzelgänger, kleine Brüderschaften Gleichdenkender, sondern unzählbar viele. Das ist in Amerika stärker empfunden worden als irgendwo anders. Der «gefährliche Gedanke> von Millionen, der den Staat ablehnt, wird als <Verrat im Herzen> und damit als substantielle Handlung angesehen. Der Staat ist nicht imstande, den Grad von Schizophrenie festzustellen, der eine unbekannt große Zahl von <Stillen> befähigt, ihm gleichzeitig handelnd zu dienen und ihn denkend zu verneinen. Er glaubt sich also gezwungen, herauszubringen, bei welchen seiner Bürger eine solche Spaltung vorliegt, die bewirkt, daß Denken und Handeln nicht mehr übereinstimmen.

Die große Frage war: Wie soll er das anstellen? Wer sind die Leute, deren Verbrechen nur im Denken liegt? Wo sind sie? Von welchem Punkt an wird ihr Denken gefährlich? Ist es ausschlaggebend, was ein Mann sagt oder wo er es sagt? Was einer bisher getan hat oder was er vielleicht in Zukunft tun wird?   - Margret Boveri, Der Verrat im XX. Jahrhundert. Bd. 4: Verrat als Epidemie - Amerika. Reinbek bei Hamburg 1960  (rde 106/106)

 

Mensch, stiller

 

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