tille,
unreine
Was euch an dieser Stille unerträglich erschien: das Bewußtsein,
daß sie keine Interpretationen zuließ, und daß es deshalb gar nicht möglich
war, sich ihr als Alternative, Gegenüber oder Gesprächspartner anzubieten, ebenso
wie es von Grund auf unmöglich war, diese Stille zu leben oder wenigstens zu
bewohnen. Doch an diesem Punkt hat euch etwas gerettet, das schon immer eine
unerschöpfliche Quelle für euch war: eure Unredlichkeit. Es war in der Tat nicht
sicher, daß diese Stille wirklich still war; diese Stille war zweideutig, mußte
zweideutig sein, genauso wie ihr beschlossen hattet, daß die Geräusche zweideutig
wären; die Stille ist nicht hörbar; doch diese Stille konnte hörbar sein; eine
unreine Stille. Aber eure Unredlichkeit war weniger mutig als raffiniert, was
tadelnswert wäre, läge nicht gerade in eurer Feigheit eine wunderbare Kraft.
Jene unreine Stille duldete nämlich die Interpretation, verlangte sie also; aber die Stille interpretieren hieß, in die Stille einzudringen und sie anzunehmen, und das war schrecklich, denn die Unreinheit der Stille vermindert weder ihre Größe noch ihre Distanz. Wenn die reine Stille fremd ist und schrecklich wegen ihrer Fremdheit, die sie unverständlich macht, dann ist die unreine Stille fern, in dem Sinne, daß, wo immer man in sie eindringt, wieder eine neue Stille beginnt - genauso unrein und genauso endlos. Aber ihre Unreinheit bewirkt, daß man in diese Stille langsam und unausweichlich eindringt, ja mit einer gewissen Unbekümmertheit, die aber nicht nur von der Angst nicht abweicht, sondern eine Einheit mit ihr formt. Und auch dies ist noch beunruhigend an der unreinen Stille: daß sie wird, auch wenn niemand zu sagen wüßte wovon und zu was, und ob in irgendeinem gewordenen Bild diese Stille Ruhe findet; ich sagte Bild, aber ihr wißt ja, daß gerade die der unreinen Stille eigentümliche Abscheu gegen das Bild sie seltsam mit den Geräuschen ver-schwistert, und daß es in Wahrheit in jenem Dorf, in jener Nacht, während jener Rast kein anderes Bild geben könnte als eures.
Also: die Unredlichkeit, die euch gestattet hat, euch der reinen
und deshalb unerträglichen und öden Stille zu entziehen, hat euch Zugang zur
unreinen Stille verschafft, aber diese ist, wie von gewissen Höllenmaschinen
und alchemistischen Konstruktionen gesagt wird - diese ist instabil, weshalb
die unreine Stille eine Art unstabile Oberfläche darstellt, wie ein auf einem
Baumstumpf wippendes Brett - ein kindliches Spiel, wenn ich nicht irre - und
da bietet euch nun diese unreine Stille, in die ihr geflohen seid, um der stillen
Angst zu entkommen, ein anderes, milderes und indirekteres, langsameres und
schleichenderes Entsetzen an, und das ist das Entsetzen des Werdens. Doch selbst
wenn ihr es wagt, an sie zu denken, in die reine Stille wagt ihr euch nicht
zu flüchten, und deshalb müßt ihr dieses unerträgliche Experiment mit der stillen
Unreinheit fortsetzen. - Giorgio Manganelli,
Geräusche oder Stimmen. Berlin 1989
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