tiefel  Was für ein schönes Wort: Sandale! und wie eindrucksvoll, nicht wahr? Die mit den wie Mondsicheln hochgezogenen Spitzen, die mit funkelnden Pailletten bedeckt und von großartigen Verzierungen ganz erdrückt sind, ähneln indischen Gedichten. Sie kommen vom Ganges. Mit ihnen geht man durch Pagoden, über Dielen aus Aloe, die vom Rauch der Räucherpfannen geschwärzt sind, nach Moschus duftend stehen sie in den Harems auf den mit verwirrenden Arabesken geschmückten Teppichen umher. Das läßt an endlose Hymnen denken, gesättigte Liebe . . . Die Marcouh des Fellachen, die rund wie der Fuß eines Kamels und gelb wie Gold ist, die grobe Nähte hat und den Knöchel umschließt, Fußbekleidung des Patriarchen und des Hirten, der Staub steht ihr gut an. Und steckt nicht das ganze China in dem mit rosa Damast verzierten Schuh einer Chinesin, auf dessen Oberleder Katzen gestickt sind?

In den Verschnürungen der Bänder an den Füßen des Apollo von Belvedere hat das plastische Genie der Griechen seine ganze Anmut entfaltet. Was für Kombinationen von Verzierungen und Nacktheit! Was für eine Harmonie zwischen Gehalt und Form! wie wohlgeschaffen der Fuß für den Schuh ist und der Schuh für den Fuß!

Besteht nicht eine ganz offenkundige Beziehung zwischen den harten Gedichten des Mittelalters (meistens einreimig!) und den aus einem Stück bestehenden eisernen Schuhen, die die Bewaffneten damals trugen, mit Sporen von sechs Zoll Länge und gewaltigen Sporenrädchen! beschwerliche, dornige Zeiten!

Die Schuhe Gargantuas bestanden aus »vierhundertundsechs Ellen karmesinroten Samtes auf hübsche Weise in parallelen Linien gezackt und in gleichförmigen Röhren zusammengefügt«. Ich erkenne darin die Architektur dei Renaissance. Die Stiefel zur Zeit Ludwigs XIII., die sich nach oben weiten und voller Bänder und Troddeln sind wie eine mit Blumen gefüllte Vase erinnern mich an das Hotel de Rambouillet, Scudéry, Marini. Aber dicht daneben befindet sich ein langer spanischer Degen mit römischem Griff = Corneille.

Zur Zeit Ludwigs XIV. hatte die Literatur straff gespannte Strümpfe! sie waren von brauner Farbe. Man sah die Waden. Die Schuhe waren vorn eckig (La Bruyère, Boileau), außerdem gab es einige kräftige Reiterstiefel, robuste Fußbekleidungen von grandiosem Schnitt (Bossuet, Moliere). Dann wird das Fußende spitz, Literatur der Régence (Gil Blas). Man spart an Leder, und die Form (noch ein Kalauer!) wird zu einer solchen Übertreibung des Antinaturalismus gesteigert, daß man es fast so weit wie in China bringt (bis auf die Phantasie allerdings). Alles ist kümmerlich, leichtfertig, geschraubt. Der Absatz ist so hoch, daß es am festen Auftreten fehlt; keine Basis mehr! Und andererseits stopft man die Waden aus, eine schlaffe philosophische Füllung (Raynal, Marmontel, usw.). Das Akademische verjagt das Poetische, Herrschaft der Locken (Pontifikat des Monsignore de la Harpe). Und jetzt sind wir der Anarchie der Schuhflicker ausgeliefert. Wir haben die Beinschienen gehabt, die Mokassins und die Schnabelschuhe. Ich höre in den schwerfälligen Sätzen der Herren Pitre-Chevalier und Emile Souvestre, beides Bretonen, das unerträgliche Schlurfen der keltischen Galoschen. Béranger hat die Halbstiefel der Grisetten bis auf die Nähte abgenutzt, und Eugène Sue zeigt immer wieder die schiefgetretenen dreckigen Stiefel der Messerstecher. Der eine riecht nach verbranntem Fett und der andere nach Kloake. Auf den Sätzen des einen sind Talgflecken und auf dem Stil des anderen finden sich ganze Streifen von Scheiße. Man hat im Ausland nach Neuem gesucht,  doch dieses Neue ist alt (wir arbeiten Altes um). Fehlschlag der Neubestiefelung nach russischer Art, sowie der lappischen, walachischen und norwegischen Literaturen (Ampere, Marmier und andere Merkwürdigkeiten der Revue des Deux Mondes). Sainte-Beuve sammelt den allernichtigsten Plunder, flickt die Lumpen, verachtet das Bekannte und betreibt seinen kleinen Handel unter Hinzufügung von Faden und Leim (Wiedergeburt der roten Stiefel in der Art der Pompadour und Arsène Houssayes, usw.). Man muß diesen ganzen Dreck ins Wasser werfen und zu den kräftigen Stiefeln oder bloßen Füßen zurückkehren, und ich muß vor allem diese schusterliche Abschweifung beenden. Woher zum Teufel kommt sie? Sicher von einem entsetzlichen Glas Rum, das ich heute abend getrunken habe. Gute Nacht.  - Flaubert an Louise Colet (26. August 1853), nach (flb)

Stiefel (2)

- Roy Lichtenstein

 

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