tar Ein Floh namens Sebastian. Klein, lebhaft, voll schwärmerischen Witzes und voller Einfälle, war unser bester Clown. Er war in jeder Hinsicht ein echter Star. Gespannt und in sich zurückgezogen vor dem Auftritt, aber sobald das Licht der Scheinwerfer auf ihn fiel, hatte er die Zuschauer vollkommen in seinem Bann.
Ich sehe ihn noch vor mir, wie er hinter der Szene wartete, wenn das weiße
Seidentaschentuch auf den Tisch gelegt wurde. Reißzwecken hielten es an allen
vier Ecken fest. Dann, als der Stickrahmen, unsere Hauptarena, aufgelegt wurde,
begann er aufgeregt auf und ab zu gehen, seinen Mund fest zusammengezogen, die
Augen irgendwo in die Ferne gerichtet, so kämpfte er an gegen die Ängste, die
jeder neue Auftritt immer wieder in ihm erwachen ließ. Ich kannte diese Anzeichen,
ich nickte ihm wie immer zu - nur ein kurzes Nicken -, um ihm mein Vertrauen
auszudrücken, und er antwortete wie immer mit einem kleinen Nicken seinerseits
zum Zeichen, daß er mich verstanden hatte. Das war unser privates Ritual, diese
beiden fast unmerklichen Gesten, und mehr brauchte es nicht, um wieder einmal
einen seiner berühmten Auftritte zu sichern. Dies, und das Wissen, daß die Primaballerina
unserer Truppe, ein bezauberndes rehäugiges kleines Flohfräulein
namens Selina, ihre Augen nicht von ihm abwandte und ihn von weitem anbetete,
während er draußen im Scheinwerferlicht stand. Denn ich glaube, Selina war die
einzige auf dieser Welt außer mir, der er seine bedingungslose Zuneigung schenkte.
Aber ach, was er zu diesem Zeitpunkt noch nicht wußte und was auch ich nicht
wußte - o grausame Falschheit des weiblichen Herzens -, das war, daß Selina
nur am Altar seines Ruhmes opferte. Sie liebte ihn nicht
um seiner selbst willen, sie liebte ihn um des Glanzes willen, der ihn umgab:
das Lachen und der Applaus der Menge, der Vorrang, den sein Name auf den Plakaten
hatte, und der besondere Platz zur Fütterungszeit auf meinem Arm. Sie war eine
große Tänzerin, aber wie so viele ihrer Art hatte sie keine echte Herzenswärme,
nur eine fanatische Anbetung des Erfolges.
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Stanley Ellin, Beidenbauers Floh. In: St.E,: Der Acht-Stunden-Mann.
Bern u. München 1986
Star (2) »Es gibt nichts Heißeres als einen amerikanischen Star! Der höhlt dich aus! Ach ja«, fügte Scipion noch hinzu, »was die Kenntnis der Sache angeht und die Bewegung, da gibt es nichts, was dem Star das Wasser reichen kann. Und großzügig, olala! Und nett! Siehst du diese Schuhe? (Er hob einen seiner Füße, die in Lackschuhen steckten.) Die sind von Madeleine Dietrich. Hast du schon mal von ihr gehört? Es hat mt einem Kuß angefangen, auf einem Boot. Ich geb ihn ihr, aus reiner Höflichkeit. Darauf fällt sie vor Aufregung ins Meer! Ich spring ins Wasser, fisch sie wieder heraus, schwimm zur Flamboyante! Aber Madeleine Dietrich, selbst als sie im Wasser ertrunken war, dachte nur an Küsse! Sie . umarmt mich mt ihren bezaubernden Armen, und sie ruft: ›Noch einen, Seekapitän!‹ Damit sie sich ruhig verhält, gebe ich ihr schnell einen. ›Los, Fräulein Madeleine, bleiben Sie jetzt etwas ruhig. Wenn Sie so herumzappeln, werden wir ertrinken. Etwas Geduld, bitte! Sobald wir auf dem Schiff sind, gebe ich Ihnen wieder einen.‹ — ›Nein, nein, sofort!‹ ruft sie. Es herrschte ein furchtbarer Sturm. Kannst du dir einen Mann vorstellen mitten im wild bewegten Meer, der eine Frau retten soll, die ertrinkt und, anstatt sich ruhig tragen zu lassen, im tosenden Meer schreit: ›Küsse! Küsse! Es ist mir wurscht, ob ich ertrinke!‹ Oh, mein Freund, was für ein Ramadan! Madeleine Dietrich, mein Freund, die machte mitten im aufgewühlten Meer Sätze, schlimmer wie ein Fisch auf dem Trockenen. So, schau her.«
Er legte sich auf den Bürgersteig, spreizte die Beine, machte schlängelnde Bewegungen und eine Art Bauchtanz.
»Und mir, ja, war sofort klar, daß es nur eins gab, um sie zu retten. Mt
beiden Füßen schwamm ich, mt einer Hand hielt ich sie fest, und um sie zur Ruhe
zu bringen, streichelte ich ihr mt der andern das Gesicht und küßte sie auf
die Wangen, damit sie sich nicht mehr bewegte. Ein Bild! Ich, nur mt den Füßen
schwimmend und diese Frau im Salzwasser küssend, olala! Kaum sind wir wieder
auf .dem Schiff, aus mt dem Geschmuse, ich binde sie mit dem Tau am Mast fest,
und ich fange wieder an, La Flamboyante zu rudern! Am Ufer angekommen, nimmt
sie, ganz naß wie ich war, meine Hand, und sie zieht mich einfach so im Galopp
durch die Straßen, um schneller ins Hotel zu kommen! Kaum sind wir im Luxuszimmer,
mein Freund, es hat sie bestimmt zwölf Francs pro Tag gekostet, knöpft sie mich
auf, so auf die ganz Schnelle, und schon beginnt der Tanz! Und es waren zweiundsiebzig
poetische Liebesstunden«, sagte er, von neuem mit einem Pariser Akzent. »Zweiundsiebzig
Mal, mein Freund! Sie erdrückte mich in ihren Armen! Oh, was für eine Frau,
mein Gott! Mit ansaugender Pumpe und nie abweisend! ›Oh, mein Schatz‹, brüllte
sie, ›oh, mein Goldhuhn, komm mit mir nach Amerika, ich bringe dich beim Kino
unter! Du wirst die großen Rollen spielen, Rigoletto, Faust!‹ Aber ich habe
nicht angenommen. Und bevor sie dann wegfuhr, hat sie mich mt Geschenken überhäuft!
Olala, was habe ich da alles an Land gezogen! (Er zeigte auf einen weißen Seidenschal,
der seinen Hals umschlang und dessen Künstlerschleife auf der Schulter lag.)
Diese Koketterie aus Chinaseide, die ist von Madeleine Dietrich! Sie hat mir
auch goldene Lockenwickler geschenkt, für meinen Schnurrbart.«
- Albert Cohen, Eisenbeißer, nach: Der Rabe. Magazin für jede
Art von Literatur 25. Zürich 1989
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