tänder  

Raben-Ständer

Rabe, einen Ständer in der Hose habend.

- Uli Gleis,  aus: Der Rabe, Magazin für jede Art Literatur 500, Zürich 1987 (Haffmans)

Ständer (2)  Es war an einem Freitagabend im vergangenen September, er kam gerade von der Arbeit und lenkte seine Schritte zur U-Bahn-Station Bond Street, mit den Gedanken schon ganz beim kommenden Weekend und seinen beiden Navymädchen, dieser Norma und dieser Marjorie, bei denen er aufpassen mußte, daß die eine nichts von der anderen erfuhr - als es plötzlich, gerade als er die Hand hob, um in der Nase zu bohren, im Himmel viele Kilometer hinter seinem Rücken und ein Stück stromaufwärts memento mori einen scharfen Knall gab, eine heftige Explosion, die er genau in seinem Rücken rollen fühlte, fast wie Gewitterdonner. Aber doch anders. Sekunden später geschah es ein zweites Mal, jetzt aber vor ihm: laut und klar über die ganze Stadt hinweg. Aber es waren nicht die Brummer, auch nicht die Luftwaffe. «Und auch kein Donner», sagte er laut und verwundert.

«Schon wieder diese verfluchten Gasleitungen», eine Frau mit einer Lunchbox und vom Tag verquollenen Augen stieß ihn im Vorbeigehen mit dem Ellenbogen in den Rücken.

«Nein, das sind die Deutschen», ihre Freundin, eingerollte blonde Ponyfransen unter einem karierten Kopftuch, zog eine ungeheure Show ab, hob beide Hände gegen Slothrop: «Sie haben es auf den da abgesehen, sie sind unheimlich scharf auf plumpe, fette Amerikaner!» Binnen einer Minute würde sie ihn in die Wange kneifen und damit hin und her wabbeln.

«Hi, Superpuppe», sagte Slothrop. Sie hieß Cynthia. Er schaffte es, eine Telephonnummer zu kriegen, bevor sie auf Wiedersehen winkte und zurückgeschwemmt wurde ins Stoßzeitgetümmel.

Es war einer jener großen, eisengrauen Londoner Nachmittage; die gelbliche Sonne wurde zerstichelt, weggeflachst vom Atmen Tausender Kamine, dem schamlosen Aufwärtsschwänzeln ihres Rauchs. Dieser Rauch ist mehr als der Atem des Tages, mehr als dunkle Kraft - er ist eine imperiale Präsenz, agil und voll Leben. Menschen überquerten die Straßen und Plätze, unterwegs in allen Richtungen. Über lange Betonviadukte, verschmiert vom Verschleiß freudloser Jahre, rollten Omnibusse zu Hunderten in nebliges Grau, fettiges Schwarz, Mennigrot, fahles Aluminium, verschwanden zwischen Gebirgen von Schrott, getürmt zur Hohe von Wohnblocks, krängten durch schliddernde Kurven hinunter in Straßen, die verstopft waren von Armeekonvois, anderen Doppelstockbussen, planenbespannten Lastwagen, Fahrrädern, Autos, alle mit anderen Zwecken und Zielen, alle in Bewegung, hier und da stockend, und über dem Ganzen die riesige Gasruine der Sonne zwischen Fabrikschloten, Sperrballonen, Hochspannungsleitungen und Kaminen vom Braun alternder Holztäfelungen, einem Braun, das dunkler wird und plötzlich schwarz, in einem Augenblick - vielleicht dem wahren Augenblick des Sonnenuntergangs -, der Wein ist für dich, Wein und Trost.

Es war genau 6 Uhr, 43 Minuten, 16 Sekunden Doppelte Britische Sommerzeit: der Himmel, geschlagen wie die Trommel des Todes, dröhnte noch immer, und Slothrops Schwanz - was sagt man dazu? Ja, schaut nur rein in seine Gl-Unterhose, da zuckt ein Ständer, bereit zu springen - du großer Gott, woher kommt das?

In Slothrops Geschichte und wahrscheinlich, Gott helfe ihm, auch in seinem Dossier findet sich eine eigentümliche Empfindlichkeit für alles, was sich am Himmel zeigt. (Aber ein Ständer?)  

Auf der alten Schieferplatte eines Grabsteins auf dem Gemeindefriedhof daheim in Mingeborough, Massachusetts, taucht aus einer Wolke die Hand Gottes auf. - Thomas Pynchon, Die Enden der Parabel. Reinbek bei Hamburg 1981

Rabe, geiler Brunst Aufstellung
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Nase