Spritztour  »Wieso halt an, was soll'n das nun wieder!« sagte Tommaso eisig, »gib Gas, Junge!«

Das Gesicht, das Cagone ihm jetzt zuwandte, war schaum- und schweißbedeckt, und mit überschnappender Stimme keuchte er: »Herrgottsakra!« und dann rief er noch einmal, außer sich: »Halt an!« Lello trat auf das Bremspedal, und der Wagen kam in einer Straße neben der Eisenbahnlinie von Magliana zum Stehen.

Cagone stieg aus: da waren eine Pinie, ein Mäuerchen dahinter, vier Baracken im Rund, eingetaucht in Stille, zwischen  schlammigen  Gärten,  und  alles  überragend  ein schwarzer Dunghaufen. Cagone wankte zur Mauer, trat i hinter zwei zerspellte, struppige Büsche und ließ seine Hose runter. Sie hörten ihn stöhnen und jammern, es war, als ob man ihn folterte, nachdem man ihn ausgezogen und geknebelt hatte, so daß er nur einen wimmernden Laut von sich geben konnte wie eine Katze. Schließlich kehrte er zurück, knöpfte sich im Gehen die Hose zu und schnallte den Gürtel fest: er war naß bis auf die Knochen.  Auch die Scheiben des Wagens waren weiß, innen vom Atem, draußen von der Nässe - alles troff. Tommaso knurrte ihn an: »Na, biste fertig? Los, denn ab mit uns!« Cagone wandte ihm das Gesicht zu und rülpste ihn noch einmal an. Der Himmel hatte sich erneut mit Wolken bedeckt, war über und über grau, dunkel. Die Reihen der Lichter am Bahndamm unten schienen aus der Erde hervorzuquellen. Wieder fuhren sie rasch dahin, aber Cagone wat immer noch übel. Von all der Nässe hatte er Durchfall bekommen, und jetzt saß er sich windend auf seinem Sitz und biß sich auf die Knöchel. Hin und wieder machte er seinem geblähten Leibe Luft, daß ein Gestank aufstieg und die anderen sich die Nase zuhielten und die Seitenfenster herunterkurbeln mußten.

Und noch einmal rief Cagone plötzlich: »Anhalten!« Tommaso wurde zum wilden Tier: »Mensch!« brüllte er, »haste dich denn immer noch nicht ausgeschissen?«- »Anhalten, ihr verdammten Schweine!« schrie der Cagone verzweifelt. Gelassen stoppte Lello den Wagen: an der Magliana waren sie schon vorüber, es gab keine Häuser mehr an der Straße: nur links, an den Schienen, die vielen gottverlassenen Lichter. Cagone rannte blindlings drauflos, zog wieder die Hose herunter, kauerte sich an den Straßenrand, über eine Art Graben voller Brennesseln, hinter dem der Boden anstieg, zwischen zwei Tuffhügeln, die ebenfalls mit Brennnesseln gespickt waren. Da kauerte er, winselte mit knirschenden Zähnen und schmerzverrenktem Hals, stand dann ganz langsam auf, zog die Hose hoch und knöpfte sie zu. Der Friede ringsum war so vollkommen, daß man einen Hund in fünf bis sechs Kilometer Entfernung bellen horte, jenseits all der durchtränkten Erde und der erbärmlichen Hügel, vom Meer oder von Rom herüber, das war nicht deutlich zu unterscheiden; es klang wie das Weinen einer verlorenen Seele.  - Pier Paolo Pasoloni, Vita Violenta. München u. Zürich 1983 (zuerst 1959)

 

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