Spritzkunst  Unser zu Glück und Reichtum gelangtes Trio vergnügt sich standesgemäß.  Während unser hagerer Pferdefreund mit hämischem Grinsen eine vollbusige Schönheit auf seinen Knien reiten läßt, vergnügt sich sein dicker Compagnon mit dem Entkorken des Champagners. Mit einem Pfropfen gelingt ihm ein Volltreffer in das Augenglas eines Ehrenmannes in der diagonalen Ecke. Bei dem Versuch, das hervorquellende Schaumgetränk mit dem Daumen zu bremsen, schießt ein scharfer Strahl abwechselnd in den Ausschnitt der reitenden Dame und auf die weiße Hemdbrust eines Kellners. Dieser Effekt bereitet dem Dicken großes Vergnügen. Beachten Sie, wie er von einem Ohr zum anderen grinst. Er lenkt den Strahl einer zweiten Champagnerflasche auf einen riesigen Hut am Nachbartisch; schaumig rinnt es, wie von einer Dachtraufe, auf die bloßen Schultern der Trägerin, während die Empörung ihres humorlosen Kavaliers mittels geschickten Fingerspiels des Spritzkünstlers gelöscht wird. Offensichtlich erfassen nun auch einige der jüngeren Menjoubärtchen den Reiz des neuen Spiels; sie erzeugen förmliche Wasserkünste mit der moussierenden Flüssigkeit. Die Älteren wollen nicht nachstehen. Der Spitzbart füllt systematisch ein Dekolleté, und ein von neuer Jugendlichkeit ergriffener vierschrötiger Kapitalist schießt Pfropfen und den gesamten Inhalt der Flasche auf den Erfinder der Lustbarkeit ab.

Diese vergröbert sich zusehends. Einige Gentlemen entleeren ihre Flaschen vollständig und kunstlos über den Kopf ihrer Nachbarn, die den Scherz mit stoischer Gelassenheit über sich ergehen lassen; andere beschießen die Kapelle, die indessen fast unentwegt weitermusiziert. Wieder andere begnügen sich schon mit dem Schauspiel der Fontäne, die sich durch Abschlagen des Flaschenhalses an der Tischkante erzeugen läßt. Einige Damen verlassen den Raum in ihren hauteng anliegenden Roben, von den Tischen ergießen sich Katarakte, nur auf dem Boden entwickelt sich ein blasiger Sumpf, auf dem man leicht ausgleitet. Die Kellner, die durch den starken Verbrauch überlastet sind, kämpfen sich mit geschwollenen Köpfen durch den feinen Sprühregen.  - Walter E. Richartz, Das Happy End. Ein Stummfilm in Worten. In: W.E.R., Das Leben als Umweg. Zürich 1988

 

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