Sprachumwelt  Es handelt sich ganz einfach um das, was man früher Bildung genannt hat - die zu dem geworden ist, was man heute Kultur nennt. Auf dem Gebiet der Sprache setzt man sich heute nicht mehr mit den traditionellen Entwicklungen auseinander, über die die Anhänger der Vergangenheit sich gestritten haben. Man beschäftigt sich nicht mehr mit den Veränderungen, die aus dem Volk kamen. Der Sprachmischmasch von heute wird von den traurigen Eliten der Politik und der Wirtschaft fabriziert, von der Werbung und von der Intelligenzija, und, gut durchgehackt, pausenlos vom Fernsehen und den anderen Medien weiterverbreitet. Im selben Moment verfällt das Volk in Schweigen. (Das heutige Verlan, der letzte Versuch, eine Randgruppensprache wiederzubeleben, wird in großem Maße und sehr schnell von der neuen Mediensprache vereinnahmt. Und das Problem dabei ist nicht, ob Randgruppensprachen noch weiterleben können, sondern ob eine Hauptsprache, die von allen gelesen werden kann, überleben kann.)

Man könnte sich totlachen, wenn man die Wörter und Ausdrücke der neuen Mediensprache ausführlich auflisten würde. Aber ihre Kombination (oder sollte ich besser sagen Kombinatorik) hat eine wirklich besorgniserregende Wirkung. Wieviel Zeit müssen wir damit verplempern, einen Teil unserer Fähigkeiten dazu zu benutzen, etwas zu übersetzen, zu schreiben oder gar zu denken, wenn es überall um die Frage der perversen Folgen eines Differentialgetriebes geht oder um das Problem, sich in einer Schaltgabel zu verorten, seine Kopie auf der Baustelle zu überarbeiten (aber ja doch!), die Karten an die Sozialpartner neu zu verteilen - zweifellos damit der Ball im Horizont des Jahres 2000 auf ihrem Spielfeld liegt, zumindest wenn es sich nicht darum handelt, einen schlichten Wiederaufschwung der Indikatoren oder der Akteure auszulösen - kurz, sein Steinchen zur Debatte beizutragen? (Ja, ja, das auch, ich hab's gelesen.)

Sicherlich sind die Übersetzer und Schriftsteller nicht allzu sehr davon bedroht, in diesen Sprachmischmasch zu verfallen, der seine eigene Karikatur ist und den man in der Zeitung oder im Fernsehen verfolgen kann, wie man einst eine Zirkusnummer verfolgt hat. Was uns droht, ist den notwendigen Bezug auf eine solide Sprache zu verlieren, so daß wir zu Eklektikern werden und alle fünf oder zehn Seiten ein Wort aus der neuen Mediensprache und ein Stück vom «angesagten» Jargon finden. (So habe ich in einem Buch gelesen, daß eine Bar ein Interface zwischen Unterwelt und ehrbaren Bürgern ist; wie ich auch erfahren habe, daß der sanfte Dave Brandstetter «nichts hatte, das er uns um die Ohren hauen konnte».)

Und Achtung! Der Eklektizismus und der Verlust einer Hauptsprache beinhalten nicht nur eine Reihe von Schnitzern, die in einem Text verstreut sind, der ansonsten ganz annehmbar bliebe. Der Mehltau und die Krätze breiten sich im ganzen Text aus und man wird dabei landen, nur noch ein zerfasertes Französisch zu benutzen, das keine Schärfe, keinen Rhythmus und keine Schönheit mehr hat. Schon seit langem watet eine Reihe von Übersetzern und Schriftstellern in diesem Dreck herum. Aber neu ist, daß heute die ganze «Sprachumwelt» (jetzt fange ich auch schon damit an) zu Ungeschicklichkeit, Unsauberkeit und Unwissenheit ermutigt. Ich weiß nicht, wie wir herauskommen können, es sei denn, wir beschäftigen uns immer wieder mit den großen Stilisten der Vergangenheit. (Ich empfehle, mindestens bis ins 18. Jahrhundert zurückzugehen; und ein bißchen 17. Jahrhundert könnte auch nicht schaden.)   - Jean-Patrick Manchette, Chroniques. Essays zum Roman noir. Heilbronn 2005

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