prachorgan
Natürlich lernen wir unsere jeweilige Sprache. Aber lernen wir alles an
ihr? Oder kommen wir mit einem Vorwissen auf die Welt, welches uns Lernarbeit
abnimmt? Ist der kindliche Spracherwerb mehr ein Sprachwachstum ? Der Verdacht
wirkt zunächst unerhört. Trotzdem spricht einiges dafür, daß es so ist. Vor
allem dieses: Kinder - selbst die weniger intelligenten - lernen ihre Muttersprache
in einem gesetzmäßig ablaufenden Prozeß; mühelos, unaufhaltsam, wie automatisch
wächst ihnen Sprache zu. Und sie lernen sie vollständig, mit allem Drum und
Dran und mit allen ihren Schikanen, obwohl um sie herum gar nicht immer perfekt
gesprochen wird, obwohl sie zuweilen sogar mit einer sehr dürftigen Kollektion
von Sprachmustern konfrontiert werden. Was die Sprache angeht, leben sie im Zustand
einer gewissen, manchmal erheblichen Stimulusarmut. Der Linguist Noam Chomsky
brachte sie so auf den Punkt: »Die Disparität zwischen Kenntnis und Erfahrung
ist vielleicht das verblüffendste Faktum der menschlichen Sprache. Es zu erklären,
ist das zentrale Problem der Sprachtheorie.« Das Kind, das eine Sprache erwirbt,
scheint von vornherein etwas über sie zu wissen, was es nicht erst lernen muß
und was es auch gar nicht lernen könnte. »Nativisten« wie Chomsky sind
überzeugt, daß dieses sprachliche Voraus-Wissen dem Kind nicht anders als genetisch
vermittelt sein kann: Im Gehirn befindet sich ein spezielles und nur dem Menschen
eigenes Sprachorgan. -
Dieter E. Zimmer, Experimente des Lebens. Zürich 1989
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