prachlehrer
In der Ansicht, daß die Forschung nach der Sprache
der Verstorbenen zu mühselig und ungangbar sei, hat mancher daran gedacht,
das Hindernis zu umgehen: »Wenn wir nicht die Sprache der Verstorbenen ausfindig
machen können, da uns zweisprachige Dokumente und jeglicher anderer Dolmetsch
mangelt, könnten doch wir eine Sprache erfinden und sie den Verstorbenen beibringen.
Daher sind wir in folgender Weise vorgegangen: wir haben des nachts, an einem
verschwiegenen, ländlichen, ruinengeschmückten Ort, in der Nähe des Friedhofs,
einen Lautsprecher installiert, einen Projektor und einen Bildschirm; Totenschädel,
Gebeine und andere verschiedentlich verstreute Symbole sollten wirken als Augenzwinkern,
als Lockvögelchen, als Ellenbogenstöße, um den Verstorbenen zu verstehen zu
geben: >hier wird von euch gesprochene Einfache Bilddarstellungen, leicht-
und klarverständliche Zeichnungen wurden auf den Bildschirm geworfen: der Lautsprecher
verbreitete in die Finsternis, nach allen Himmelsrichtungen, unmißverständliche
und höchst einfache Töne. Der ganze Kurs dauerte wenige Wochen und wurde mehrmals
wiederholt. Aber als wir nach der Beendigung, als die Scheinwerfer ausgeschaltet
waren, einige einfache Fragen durch die Nacht ertönen ließen, lauschten wir
vergeblich, öffneten wir umsonst die empfindlichen Mikrophone unserer Tonaufzeichner:
Rascheln von Gras, flüchtende Insekten, Murmeln von Fröschen und Schlangen;
aber keine Silbe der Antwort.« - Giorgio Manganelli, Diskurs über
die Schwierigkeit, mit den Toten zu sprechen. In: G. M., An künftige Götter.
Sechs Geschichten. Berlin 1983 (zuerst 1972)
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