pinner    Ich rede nicht von den Journalisten, die sich Schriftsteller nennen und die allemal das Bedürfnis ›dieser Tage‹ zu befriedigen verstehen. Ich rede einzig von den schwierigen Spielern, den Erben der Moderne, den unruhigen Traditionalisten, den pathetischen Manieristen und allen übrigen, die in den Augen der Mehrheit für überflüssige Spinner gelten. Und davon gibt es ja nur noch wenige, verschwindend wenige. Ausgerechnet jetzt, da der Konsum total geworden ist (und in diesem Punkt unterscheidet sich die Lektüre der Randgruppen in nichts von der des Lesering-Publikums), fehlt es doch an einer neuen Literatur, die aus der entschiedenen Absage an diese Konsumierbarkeit eine große und wesentliche Kraft bezöge und eine Strömung entstehen ließe, die freilich nicht wieder die Verspätung selbst zum Fließen brächte, indem sie lauter französischen Abhub und kränkliches Artaudgeflüster mit sich führte. Aber in einer Zeit, in der die Literatur selbst zum Außenseiter der Kultur geworden ist, wird der Außenseiter in der Literatur aus seiner exzentrischen Rolle verdrängt. An die Stelle des Neuen ist der offizielle Betrieb der Moden und Trends getreten, d. h. die Stelle des Neuen nimmt in erster Linie die neue Nachricht ein. Inzwischen verhält sich auch der kritische Geist gegenüber dem Neuen im weitesten Sinn eher allergisch; er lernt gerade, zeitgemäß, das, was da ist, intensiver zu nutzen. Eine Avantgarde aber, die nicht davon durchdrungen ist, daß die Allgemeinheit, der mittlere Troß eines Tages an ihre Stelle rückte und sie zum Gemeingut erhöbe, entbehrte für ihre Aufgabe der nötigen Kampfeskraft. Doch wer könnte noch so blind an seine Sendung, an die unanfechtbare Bestimmung der Dichtung glauben, wie es, sagen wir, ein Mallarmé getan hat, der davon überzeugt war, daß die Arbeit der Welt in Dem Buch sich vollenden werde. Das Buch zur Metapher für das universale Archiv unserer Kultur zu erheben, wäre heute ein ebenso harmloser wie obsoleter Privatspaß. Die Arbeit der Welt des Kopfes wird vermutlich in 87 Fernsehkanälen enden und das Mallarmésche Buch wird ein Kultobjekt eines winzigen Geheimzirkels an der Universität von Wisconsin sein und nur dort und nirgends sonst auf der Welt wird man ihm ein ehrendes Andenken bewahren. - Botho Strauß, Paare, Passanten. München 1984 (dtv 10250, zuerst 1981)

Spinner (2) »Das ist genau der springende Punkt!« erklärte Slocum. »Bei einem Irren weiß man nie im voraus, daß er verrückt ist! Ich hab' 'ne Menge Erfahrung mit Verrückten und ich weiß schon, wovon ich rede! Zum Beispiel dieser Typ, den ich im Baltimore in Miami geschnappt habe - ein religiöser Spinner. Die Gäste des Hotels hatten sich beschwert, daß jemand die Speisekarten beschrieben und Zettel unter den Türen durchgesteckt hatte. Ich sah mich da etwas um, und eines Tages fiel mir auf, daß die Leute, die aus der Bar kamen, Zettel auf dem Rücken kleben hatten. Ich ging rein und griff mir den alten Herrn an der Tür. Er sah aus wie'n Bankier; distinguiert und alles ... Aber er war's! Er hatte sämtliche Taschen voll mit Stößen von Aufklebern; alle bedruckt mit ›Jesus hilft‹.«

Crane zeigte sich interessiert. »Hilft wobei?« fragte er.

»Wie?«

»Jesus hilft wobei?«

»Was weiß ich!« sagte Slocum. »Da stand nur ›Jesus hilft‹.«

»Haben Sie den Mann denn nicht gefragt, wobei?«

»Nein . . .«

»So so!« schnaubte Crane mißbilligend. - Jonathan Latimer, Eine Leiche im Paradies. München 1983, zuerst 1937

 

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