- Alfred
Kubin, nach: Der Rabe
15, Zürich 1986
Spinnennetz (2) Abraham ben Esra lebte in einem kleinen Haus am Ufer des Meeres. Rund um es herum gab es stets duftende Pflanzen, und die Winde vermochten diese Düfte nicht auseinanderzutreiben, sondern trugen sie gleich Teppichen von Ort zu Ort. Eines Tages bemerkte Abraham ben Esra, daß sich die Düfte verändert hatten. Es rührte daher, daß er Furcht fühlte. Diese Furcht in ihm war zuerst tief wie seine jüngste Seele, dann stieg sie hinab in die mittlere, dann auch in die dritte, die älteste Seele Esras. Schließlich wurde die Furcht tiefer als die Seele in Ben Esra, und er vermochte nicht länger im Hause zu verweilen. Er wollte hinausgehen, doch als er die Tür öffnete, fand er am Eingang ein ausgespanntes Spinnennetz, das sich während der Nacht dort angeheftet hatte. Es war wie alle anderen Spinnennetze, besaß aber eine rötliche Färbung. Als er versuchte, es zu beseitigen, bemerkte er, daß es ein wunderschön aus Haar gesponnenes Netz war. Da begann er seinen Eigentümer zu suchen. Erfand keinerlei Spur, bemerkte aber in der Stadt eine Fremde, die ihren Vater begleitete. Sie hatte langes rotes Haar, schenkte jedoch Ben Esra keine Aufmerksamkeit. Am nächsten Morgen fühlte Ben Esra erneut Furcht, und an der Türfand er wieder ein ausrotem Spinngewebe geknüpftes Netz. Als er an diesem Tag das Mädchen traf, reichte er ihr zwei Sträuße Myrthe.
Sie lachte und fragte:
»Wie hast du mich entdeckt?«
»Ich habe sofort bemerkt«, sagte er, »daß in mir dreierlei Furcht ist und
nicht nur eine.« - (
pav
)
Spinnennetz (3) Meinem Sklaven
habe ich befohlen, das Antlitz der Wüste zu bewachen; Said und ich haben geschlafen,
erschöpft. In dieser Nacht war mir, als würde ich von einem Schlangennetz eingefangen.
Voller Grauen bin ich erwacht; an meiner Seite, in der Morgendämmerung, schlief
Said; die Berührung eines Spinnennetzes hatte mich diesen Traum träumen lassen.
Ich war erbittert darüber, daß Said, der ein Feigling war, mit solcher Ruhe
schlafen konnte. Ich habe überlegt, daß der Schatz nicht unendlich ist, und
daß Said Anspruch auf einen Teil erheben konnte. In meinem Gürtel war der Dolch
mit silbernem Griff; ich habe ihn gezogen und Saids Kehle durchbohrt. Im Todeskampf
hat er ein paar Wörter gestammelt, die ich nicht verstehen konnte. Ich habe
ihn betrachtet; er war tot, aber ich hatte Angst, daß er sich erheben könnte,
und habe dem Sklaven befohlen, ihm mit einem Felsstück das Gesicht auszulöschen.
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Jorge Luis Borges, Das Aleph, nach (
bo3
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