pinnenforscher Er
hatte das absolute Bedürfnis, seinen Beziehungen zu dem Spinnengeschlecht
in Gedanken nachzugehen sowie die Gefahr, die ihm von diesen schrecklichen Feinden
drohte, räumlich und zeitlich zu bestimmen. Spinnen jeglicher Art und Größe
kamen ihm wieder ins Gedächtnis: von den vogelfressenden, die er in den Lehrbüchern
für Naturgeschichte gesehen hatte (ungefährlich, weit weg und irreal) bis zu
den ganz kleinen mit den zitternden Fühlern, die an den Fensterborden, Fliegen
fangen (ebenfalls ungefährlich: Nichtspinnen).Wahre Spinnen gibt es in
vielerlei Arten: da gibt es die riesigen und alten pechschwarzen Spinnen mit
gedrücktem Kopf und herzförmigem Körper; sie hausen in alten Zimmern, tragen
auf ihrem Leib ein großes Kreuz, haben große, stämmige, behaarte Beine und machen
erschreckende Sprünge.Undstämmige, korkartige Spinnen, und
wenn man sie ergreift, klammern sie sich mit den Beinen an die Finger, die sie
halten; sie leben in Gemüsegärten und haben eine allzu flüchtige und konvulsivisch
rasche und huschende Art. Und Spinnchen mit leuchtenden weißen und grauen
Quadraten und einer Salamanderhaut.
Und Spinnen, die man immer gleichsam hinter einem Nebelschleier sieht und die
in einem Loch ganz unten in einem Trichter aus dichtem Gewebe hocken. Und Heimchen,
die ganz die Natur der Spinnen haben (als Kind hatte Jener sie Spinngrillen
genannt). Und mittelgroße Spinnen, gelblich und ohne sonderliche Bedeutung,
weder gedrungen noch gestreckt, eigenartig proportioniert an Körper und Beinen
. . . «Ja», sagte sich Jener und folgte einer plötzlichen Eingebung, «aber sie
einfach so aufzählen heißt noch nicht, sie begreifen.
Das Fleisch der Spinnen, das böse Geheimnis des Spinnenfleischs bleibt uns versagt.
Wer wird es lüften können, erfahren, woraus es wirklich besteht? Darum», sagte
er sich des weiteren, «muß man vielleicht diese gelben Spinnen erforschen, deren
Beine zu schwach sind, um den gedunsenen Körper tragen zu können; der nichts
weiter ist als eine kleine Blase purulenter Materie: eine kleine Eiterblase;
schlitzt man sie auf, kommt eine gelbliche dicke Flüssigkeit heraus. Wenn man
sich's richtig überlegt, ist diese Blase gar nicht gelb, sondern nur durchsichtig
und erhält ihre Farbe von der Materie im Innern. Damit haben wir vielleicht
die Essenz der Spinnen. Diese Blase ist wie die Haut eines prallen Eiterpickels,
Eiterpickel, den man unbedingt aufstechen muß, wenn man nicht riskieren will,
daß der Eiter nach innen geht und das übrige Fleisch infiziert . . .» Doch hier
fuhr es wie ein Blitz in Hirn, Herz und Adern unseres Jenes. Und wie immer wußte
er erst einen Augenblick darauf, was dies war. Die tödliche Aufwallung nahm
zu, erreichte das gerade noch erträgliche Höchstmaß an Intensität, ebbte ab,
und nun endlich begann der Gedanke Gestalt anzunehmen, verdeutlichte sich in
einem Vergleich. Noch eine weitere Umdrehung, und da ist das Bild in seinem
vollen Grauen fixiert. Jener verstand. Er verstand jetzt, plötzlich und unvermutet,
welche Farbe die Augen seines Sohnes hatten: die Farbe jener Spinnen. - Tommaso Landolfi, Der Tod
des Königs von Frankreich. Nach
(land)
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