perber
»Ew. Ehren dürfen mir glauben, daß ich alles blitzschnell sah,
wie ich nie zuvor etwas in meinem Leben gesehen habe. Es schien mir so,
als ob mir die Welt zumindest in ihrem Sertão-Teil
›nicht ihre Erscheinungsformen, sondern ihr eigenes Blut, ihre braunen Eingeweide,
ihre seltsame Raubtierseele enthüllte, welche die unsrige erzeugt hat‹. So sagt
Clemens immer, wenn er mir
die ›mythologische Neger-Tapuia-Einführung‹ seiner berühmten ›Penetral-Philosophie‹
erläutern will. Aber das dauerte nur einen Augenblick, Herr Richter! Die riesige
Kugel aus geschmolzenem Blei, welche die Sonne in mein Augenlicht eingepreßt
hatte, hatte sich noch nicht völlig aufgelöst. Sie schien sich nur von meinen
Augen abgelöst und Eigenleben gewonnen zu haben, denn sie begann in halber Höhe
zwischen dem Felsen und der Stadt am Horizont zu schwimmen. Und dann trat die
nicht wiedergutzumachende Katastrophe ein: die übermannsgroße Bleikugel spaltete
sich in der Mitte, und aus ihr krochen zwei Sperber hervor, ein Männchen und
ein Weibchen; pfeifschnell durchstießen sie die Lüfte auf meinen Felsen zu und
gaben dabei rauhe, metallische Pfeiflaute von sich. Was waren das wohl für Sperber,
Herr Richter? Waren es zwei von denen, die mit Sinesio mitgekommen waren und
in diesem Augenblick auf dem Marktplatz freigelassen wurden? Waren es gewöhnliche
Sperber aus dem Sertão, die zufällig dort erschienen waren? Waren es die beiden
Sperber, die dem Caetaner-Mädchen gehören, der jungen grausamen schwarzroten
Sertäo-Todesgöttin? Waren sie vom unheilvollen Schicksal ausgesandt worden,
um meine Stirn mit dem ›Siegel des Genius‹ zu brandmarken, von dem der geniale
brasilianische Dichter Fagundes Varela spricht? Ich weiß es nicht. Ich glaubte,
sie würden, sobald sie mich erblickt hätten, einen Bogen um den Felsen und mich
schlagen, wie es Sperber normalerweise tun. Deshalb ergriff ich keine Vorsichtsmaßnahmen,
und das hat mich ins Unglück gestürzt, Ew. Ehren; denn sie haben mich geblendet
und meine Augen für immer verletzt und zerstückelt.«
»Dom Pedro Dinis Quaderna, ich will hier nicht erörtern, ob Sie blind sind oder nicht. Aber eines kann ich Ihnen garantieren, weil ich es sehe: Ihre Augen sind nicht zerstückelt, sie sind immer noch so frisch und wohlbehalten, daß es ein Vergnügen ist, sie anzuschauen.«
»Das mag sein, Herr Richter. Um genau zu sein, ich weiß wirklich nicht, wie
die Sperber vorgegangen sind. Ich weiß nicht, ob sie den Schnabel oder die Krallen
benutzt haben oder Ob sie sich damit begnügt haben, sich an meine Augen anzulehnen
und ihre brennenden, flammenden Hinterteile an jedes meiner Augen zu halten.
Ich weiß, weil ich es noch zu sehen vermochte, daß sie die Lüfte durchschnitten
und mit gewaltiger Geschwindigkeit auf mich zukamen, gleich an meinen Kopf heranflogen
und ihn umflatterten, wie dies immer bei den Anfällen meiner ›heiligen
Krankheit‹ geschieht. Entsetzt vernahm ich das Rauschen, die trockenen Schläge
ihrer Schwingen, die meinen Kopf umkreisten, und das mit wachsender Geschwindigkeit.
Ich taumelte, fühlte, wie eine seltsame Hitze Kopf und Stirn umfing. Meine Augen
begannen sich auf unerträgliche Weise zu erhitzen und zu schmerzen. Ein Feuerwindstoß
blies mir ins Gesicht. Und etwas müssen sie getan haben, denn plötzlich zersprangen
meine Augen wie Maiskörner im Feuer oder wie wenn man sie auf der Höllenesse
zusammengehämmert hätte. Und das war das letzte, was ich sah, Herr Richter:
unmittelbar darauf erblindete ich, Blut und Tränen flössen mir über das Gesicht,
vermischt mit der salzigen Flüssigkeit meiner zerstückelten Augen.« - (stein)
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