Soziopath  Eines Tages las ich ein Psychologiebuch, und ein Wort sprang mir ins Auge. »Soziopath«. Es schlug mich in Bann. Ich las es wieder und immer wieder. »Soziopath. Das grundsätzliche Charakteristikum für diese Störung ist das Fehlen jeglicher Reue, selbst für gewalttätiges oder kriminelles Verhalten. Dem Soziopathen mangelt es an der fundamentalen Qualität der Empathie

Ich flitzte zu dem zerfledderten alten Wörterbuch, das ich in meiner Zelle aufbewahrte. »Empathie: die intellektuelle Identifikation mit den oder das Nachempfinden der Gefühle, Gedanken und Haltungen anderer.«Ich reimte es mir zusammen. Ein Soziopath denkt nur seine eigenen Gedanken, geht seiner eigenen Wege, Spürt nur seinen eigenen Schmerz. Yeah. War das nicht die rechte Tour, um auf diesem Schrottplatz zu leben? Sitz deine eigene Zeit ab, klapp das Visier runter. Laß sie nicht in dein Herz blicken.

Etliche Wochen später sah ich, wie die Wachteln einen Informanten auf einer Bahre raustrugen, ein weißes Handtuch über dem Gesicht. Ein Stichel ragte aus seiner Brust. »Für 'ne Ratte ist das 'ne nette Art, aus diesem Hotel auszuchecken«, sagte ich zu den Jungs um mich. Sie nickten. Ich wußte, was sie sagen würden - Burke ist ein kalter Hund.

Mein Gesicht blieb undurchdringlich. Ich hob nie die Stimme, stritt mit niemandem. Übte, meinen Blick unscharf werden zu lassen, damit ich einem Mann minutenlang ins Gesicht schauen konnte, ohne mich abzuwenden.

Manchmal sagte ich nachts in der Zelle leise das Wort zu mir. »Soziopath.« Rief den Eisgott an, er möge in meine Seele kommen. Wollte alles sein, nur nicht die ganze Zeit ängstlich.   - Andrew Vachss, Bluebelle. Berlin und Frankfurt am Main 1991

 

Irre Ungeselligkeit

 

  Oberbegriffe
zurück 

.. im Thesaurus ...

weiter im Text 
Unterbegriffe

 

Verwandte Begriffe
Synonyme