- Josefine Mutzenbacher. Die Lebensgeschichte einer
wienerischen Dirne, von ihr selbst erzählt. München
1969 (zuerst
1906)
Sonntagmorgen (3) Eine neue Mordwelle hält Amerika in Atem: In Texas wurde der als »Sonntagmorgen-Schlächter« bekannt gewordene Frauenhasser Coral Eugene Watts verhaftet. 22 Morde gestand er bereits, doch die Polizei glaubt, der 28jährige Busmechaniker habe insgesamt 40 Frauen umgebracht. Fast gleichzeitig wurde in Kansas Larry Keith Robinson (25) überfuhrt. Er wird beschuldigt, in Fort Hurst (Texas) fünf Menschen ermordet zu haben. Unter den Opfern befindet sich Robinsons Wohnungspartner, den er kastriert und geköpft hatte.
Frauenhasser Watts ging der Polizei ins Garn, als er in Houston (Texas) versuchte, eine Frau in der Badewanne in ihrer Wohnung zu ertränken. Sie konnte sich befreien und Alarm schlagen. Bei der Einvernahme begann der Verhaftete plötzlich, immer mehr Morde zu gestehen. Als die Polizisten ihm nicht glauben wollten, führte er sie in Texas zu neun Stellen, wo er seine Opfer auf freiem Feld verscharrt hatte. »Watts sah Frauen als hinterlistig, treulos und schmarotzerisch an«, heißt es in einem gerichtspsychiatrischen Gutachten.
Über acht Jahre brauchte die Polizei, um dem Massenmörder auf die Schliche zu kommen. Unter ändert« wurde er verdächtigt, in der Universitätsstadt Ann Arbor im südlichen Westen der USA vier Frauen umgebracht zu haben.
Zum ersten Mal in Verdacht geraten war er aber bereits 1974, als in Kalamazoo (Bundesstaat Michigan) eine 19Jährige Studentin erstochen worden war. Da Watts meistens am frühen Sonntag mordete, ging er als der »Sonntagmorgen-Schlächter« in die Kriminalgeschichte ein.
Die Ungewöhnlichkeit seiner Verbrechen hatte die Polizei lange im dunkeln
tappen lassen: »Er hat seine Opfer nie vergewaltigt, er hat ihnen nichts gestohlen«,
sagte Richter Doug Shaver vom Distriktsgericht in Houston. -
Georg Weber, nach: Tintenfaß
15, Zürich 1986
Sonntagmorgen (4) Nach oben gerechnet hatte Courtial
des Pereires wirklich nicht zuviel! Er durfte sich nicht leisten, auch nur einen
Zoll zu verlieren... Er trug sehr hohe Absätze, übrigens war er in puncto Schuhe
sehr heikel... Das Oberteil mußte aus beigefarbenem Tuch sein, dazu Perlmuttknöpfe...
Aber er war mir ähnlich, er hatte verdammte Käsequanten... Am Samstagnachmittag
war der Gestank fast nicht mehr zu ertragen ... Er nahm am Sonntagmorgen seine
Reinigung vor, das wußte ich. Wochentags hatte er keine Zeit... Seine Frau habe
ich nie gesehen. Sie wohnten in Montretout... Mit den Füßen war er nicht der
einzige... Es war der Schrecken jener Zeit... Wenn Erfinder
kamen, ganz in Schweiß gebadet, fast immer von sehr weit her, dann konnte man
sie nur schwer bis zu Ende anhören, auch wenn die Tür zum großen Garten des
Palais weit geöffnet war... Was man da manchmal zu riechen bekam, war unvorstellbar...
Meine eigenen Stinkquanten wurden mir davon widerlich. .- (
tod
)
Sonntagmorgen (5) Sonntagmorgens blieb man im Bett
liegen, bis man vor Wohlbehagen hätte schreien
mögen. Etwa gegen elf Uhr klopften meine Eltern an die Wand meines Zimmers:
ich sollte ihnen etwas vorspielen. Wie die Gebrüder Fratellini tanzte idi ins
Zimmer hinein, ich war so Feuer und Flamme, daß ich mich wie ein Wippkran in
die höchsten Zweige des Paradiesbaumes hätte schwingen können. Ich konnte alles
und jedes einhändig tun und war dabei sehr gelenkig. Mein Alter nannte mich
<Sunny Jim>» weil ich voll force, voll Spannung und Kraft war.
Zuerst machte ich für sie auf dem Bettvorleger ein paar Handstände, dann versuchte
ich mit Fistelstimme eine Bauchrednerpuppe nachzuahmen; schließlich machte ich
ein paar leichte Tanzschritte, um anzuzeigen, aus welcher Richtung der Wind
wehte, und husch! wie der Wind saß ich auf dem Klavierstuhl und spielte eine
Fingerübung. Ich begann immer mit Czerny, um für die Vorstellung die Finger
zu lockern. Mein Alter haßte Czerny genauso wie ich, aber Czerny war damals
der plat du jour auf der Speisekarte, und so wurde Czerny gespielt, bis
die Gelenke Gummi waren. Vage erinnert mich Czerny an die große Leere, die mich
später überkam. Welche Geläufigkeit erreichte ich, wenn ich da auf meinem Klavierhocker
klebte! Es war, als habe man eine Flasche mit einem Stärkungsmittel auf einen
Zug geleert und jemand hätte einen ans Bett gefesselt. Nachdem ich an die achtundneunzig
Übungen gespielt hatte, war ich schließlich bereit, ein wenig zu improvisieren.
Im allgemeinen griff ich eine Handvoll Töne und fuhr dann über die ganze Tastatur
hinweg; dann ging ich zu einer Reihe getragener Variationen wie Der Brand
von Rom oder Ben Hurs Wagenrennen über, was alle gerne mochten, denn
es war leicht verständlicher Radau. Lange bevor ich Wittgensteins Tractatus
Logico-Pbilosophicus gelesen hatte, hatte ich ihn in der Sassafras-Tonart
vertont. Ich war damals bewandert in Wissenschaft und Philosophie, in Religionsgeschichte,
induktiver und deduktiver Logik, im Wahrsagen aus der Leber, in der Kenntnis
der Pharmakologie und Metallurgie, in all den zwecklosen Sparten der Gelehrsamkeit,
durch die man vorzeitig schlechte Verdauung bekommt und melancholisch wird.
Diese ganze gelehrte Kotze garte die ganze Woche über in meinen Eingeweiden,
um sonntags vertont zu werden. - (wendek)
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