Solidarität  Inmitten einer Explosion von Rokoko-Ornamenten, die nie jemand ansah, und dem Geschnatter teurer fremdländischer Vögel, auf das nie jemand hörte, und in Massen opulenter Polsterungen und einem Labyrinth luxuriöser Architektur saßen drei Männer und sprachen darüber, daß Erfolg auf Überlegung, Sparsamkeit, Wachsamkeit in der Wirtschaft und auf Selbstbeherrschung gründe. Einer von ihnen sprach allerdings nicht so viel wie die anderen; aber er beobachtete mit seinen hellen und bewegungslosen Augen, die von seinem Zwicker zusammengeklemmt erschienen, und das ständige Lächeln unter seinem schwarzen Schnurrbart sah eher wie ständiger Hohn aus. Das war der berühmte Jacob P. Stein, und er sprach nie, bevor er etwas zu sagen hatte. Sein Gefährte jedoch, Gallup der alte Pennsylvanier, ein riesiger fetter Kerl mit ehrwürdig grauen Haaren, aber dem Gesicht eines Boxers, redete viel. Er war in jovialer Stimmung und gerade dabei, den dritten Millionär halb zu verspotten, halb zu bedrohen, Gideon Wise - ein harter, trockener, eckiger, alter Vogel von jenem Typus, den seine Landsleute mit Hickoryholz vergleichen, mit steifem grauem Kinnbart und den Manieren und der Kleidung eines x-beliebigen alten Farmers aus dem mittleren Westen. Es gab da einen alten Streit zwischen Wise und Gallup über Zusammenarbeit und Wettbewerb. Denn der alte Wise hatte, mit den Manieren eines Hinterwäldlers, gewisse seiner Ansichten eines alten Individualisten beibehalten; er gehörte, wie wir in England sagen würden, der Manchester-Schule an; Gallup hingegen versuchte immer wieder, ihn zu überreden, den Wettbewerb auszuschließen und die Ressourcen der ganzen Welt zusammenzuschließen.

»Früher oder später müssen Sie einsteigen, alter Knabe«, sagte Gallup gerade freundschaftlich, als Byrne eintrat. »Das ist nun mal der Lauf der Welt, und zum 1-Mann-Geschäft können wir nicht zurück. Wir müssen alle zusammenhalten.«   - Gilbert Keith Chesterton, Father Browns Ungläubigkeit. Zürich 1991

Solidarität (2)

Solidarität (3)  Ich fragte mich: für wen soll ich mich eigentlich aufopfern? Mehr noch: warum soll ich mich überhaupt aufopfern?

Mir kamen Momente des Zweifelns; Sie verstehen wohl, warum... Ich bin Materialist, dachte ich; ich habe nur dieses eine Leben; warum also soll ich mich mit Aufklärungsarbeit, sozialen Ungleichheiten und anderen Geschichten herumschlagen, wo ich mich doch an allem Möglichen erfreuen, mich zerstreuen könnte, statt mich mit all dem zu befassen? Warum soll einer, der nur dieses eine Leben hat, der nicht an das ewige Leben glaubt, der kein anderes Gesetz als das der Natur anerkennt, der sich dem Staat widersetzt, weil er unnatürlieh ist, und der Ehe, weil sie unnatürlich ist, dem Geld, weil es unnatürlich ist, all den gesellschaftlichen Fiktionen, weil sie unnatürlich sind, warum zum Kuckuck soll der eigentlich für Selbstlosigkeit eintreten und sich für andere, für die ganze Menschheit aufopfern, wo doch Selbstlosigkeit und Aufopferung auch unnatürlich sind? Jawohl, dieselbe Logik, die mir vor Augen geführt hatte, daß der Mensch nicht geboren wird, um zu heiraten oder um Portugiese, um reich oder arm zu sein, dieselbe Logik sagte mir, daß er ebensowenig geboren wird, um solidarisch, zu sein, daß er einzig und allein geboren wird, um er selber zu sein, also das Gegenteil von selbstlos und solidarisch, kurz: ein vollkommener Egoist. Ich habe diese Frage mit mir selber diskutiert. Denke daran, sagte ich mir, daß du mit deinem Eintritt ins Leben zum Menschengeschlecht gehörst, also die Pflicht hast, mit allen anderen Menschen solidarisch zu sein. Aber ist denn die Idee der »Pflicht« natürlich? Woher kommt überhaupt diese Idee? Wenn mich diese Pflichtidee dazu verpflichtet, mein Wohlergehen, meine Annehmlichkeiten, meinen Selbsterhaltungstrieb und andere natürliche Triebe aufs Spiel zu setzen, unterscheidet sich dann noch die Ausführung dieser Idee von der Ausführung irgendeiner gesellschaftlichen Fiktion, die in uns genau dieselbe Wirkung hervorruft?  - Fernando Pessoa, Ein anarchistischer Bankier. Berlin 1986 (zuerst 1922)

Solidarität (4)   Er tat so, als bemerkte er mich nicht, aber ich wußte, er wußte, daß ich unhöflich und ruhig dastand. Ab und zu schaute er mich heimlich hinter seiner Zeitung an, sah mich still und ernst und allein, meine Augen auf die seinen gerichtet. Sobald er seine Geduld verlor, wollte ich nach Hause gehen. Ich kam ohnehin schon zu spät zum Mittagessen. Ich hatte ihn fast geschlagen, die Zeitung zitterte, er atmete schwer, als ein fremder Junge, den ich nicht hatte kommen hören, mich den Abhang hinunterstieß.

Ich warf einen Stein nach seinem Gesicht. Er nahm seine Brille ab, steckte sie m seine Manteltasche, zog dem Mantel aus, hängte ihn sauber über den Zaun und griff an. Als ich mich umdrehte, während wir oben auf dem Abhang rangen, sah ich, daß Mr. Samuels seine Zeitung auf dem Liegestuhl zusammengefaltet hatte und aufgestanden war, um uns zuzusehen. Es war falsch gewesen, daß ich mich umgedreht hatte. Der fremde Junge schlug mich zweimal ins Genick. Mr. Samuels hüpfte vor Aufregung, als ich gegen das Gitter fiel. Ich lag erhitzt im Staub und kratzte und biß, war dann tänzelnd wieder auf und rammte dem Jungen meinen Kopf in den Bauch, und wir

fielen ineinander verschlungen auf die Erde. Ich sah mit einem sich schließenden Auge, daß seine Nase blutete. Ich haute ihn auf die Nase. Er riß an meinem Kragen und wirbelte mich an den Haaren herum.

»Los,gibsihm! Gibs ihm! «hörte ich Mr. Samuels rufen.

Wir wendeten uns ihm beide zu. Er schüttelte seine Fauste und tänzelte im Garten herum. Dann hörte er auf und hustete und rückte seinen Panamahut wieder gerade und wich unseren Augen aus und wandte uns seinen Rük-ken zu und ging langsam zu seinem Liegestuhl.

Wir warfen beide mit Schotter nach ihm.

»Ich zeigs ihm mit seinem ›Gibs ihm‹<«,sagte der Junge, als wir am Spielplatz entlangliefen, weg von Mr. Samuels' Rufen, und die Stufen runter auf den Hügel.

Wir gingen zusammen. Ich bewunderte seine blutige Nase. Er sagte, mein Auge sei wie ein Spiegelei, nur schwarz.

»Ich hab niemals soviel Blut gesehen«, sagte ich.

Er sagte, ich hätte das beste blaue Auge in Wales, vielleicht wäre es sogar das beste in Europa; er wettete, daß Tunney niemals ein blaues Auge wie dies gehabt hatte.

»Und dein ganzes Hemd ist voller Blut.«

»Manchmal blute ich dicke Brocken«, sagte er.  - (hund)

 

Zusammenhalt Machtmittel

 

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