ohn,
buckliger
Ich lausche auf den röchelnden Atem meines Sohnes, von dem ich bald nicht mehr
sprechen werde. Das Röcheln wird zuweilen von einem
tiefen Seufzen unterbrochen, das einem Schluchzen gleicht. Solltest Du, o Leser,
dich an den scheusslichen Tag oder an die unheimliche Nacht deiner Geburt
erinnern, so wirst Du Dich getröstet fühlen, wenn Du an die überströmende Zärtlichkeit
denkst, mit der deine Mutter dich frierenden Erdenbewohner an ihr warmes Herz
drückte. Wisse, dass ich eher sterben möchte, als dass ich die geringste liebevolle
Geste gegen meinen buckligen Sohn ausführte. Wenn Du ein mitfühlender Mensch
bist, so habe Mitleid mit seiner Affenschnauze, wenn Du willst. Ich habe kein
Mitleid mit ihm und trotzdem beunruhigt er mich. Ich wünschte, er würde in dieser
Nacht eines natürlichen Todes sterben. Ich bin zu müde, um hinab zu steigen,
die 88 Stufen hinab, um ihn lebendig zu begraben. Ich sehe mit Verwunderung,
dass ich verwirrt bin: denn begraben muss ich ihn auch, wenn er eines natürlichen
Todes stirbt. Ach, nichts ist widerlicher, als die Umstände, die ein Kadaver
bereiten kann. Der tote Leib müsste sich in nichts auflösen. Ich bin für die
leichten Lösungen der Probleme, besonders, wenn es sich um den Tod handelt.
Unsere Erde ist gedüngt mit Leichen. Bald wird man keinen Platz mehr finden,
um die Leichen zu begraben, es sei denn, man legte sie übereinander, in Massengräber.
- Unica Zürn, Die Trompeten von
Jericho. In: U. Z., Das Weiße mit dem roten Punkt. Texte und Zeichnungen. Frankfurt am Main - Berlin
1988
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