itzbänkchen  Etwas ist mir passiert, daran ist kein Zweifel möglich. Es ist wie eine Krankheit über mich gekommen, nicht wie eine gewöhnliche Gewißheit, nicht wie eine Offenbarung. Versteckt und allmählich hat es sich eingenistet, ich habe mich etwas eigenartig, etwas geniert gefühlt, das war alles. Einmal festgesetzt, hat es sich völlig ruhig verhalten, und ich habe mir gesagt es ist nichts, es ist ein blinder Alarm. Aber jetzt gewinnt es an Boden.

Ich glaube nicht, daß der Beruf des Historikers eine besondere Eignung zur Seelenanalyse voraussetzt. Wir haben nur mit Empfindungen zu tun, die sich in allgemeine Begnffsbe Stimmungen rubrizieren lassen, wie Ehrgeiz, Interesse. Wenn ich nur ein klein wenig Selbsterkenntnis gehabt hätte, so wäre sie mir jetzt vonnöten gewesen.

In meinen Händen, zum Beispiel, ist etwas Neuartiges, eine gewisse Art, meine Pfeife, meine Gabel zu halten. Vielleicht ist es auch die Gabel, die jetzt eine andere Art angenommen hat, sich anfassen zu lassen - ich weiß es nicht. Als ich eben mein Zimmer betreten wollte, blieb ich wie angewurzelt stehen, weil ich in meiner Hand einen kalten Gegenstand fühlte, etwas, das durch eine Art Eigenleben meine Aufmerksamkeit erregte. Ich öffnete die Hand, ich schaute ich hatte ganz einfach die Türklinke in der Hand.

Ich stütze meine Hand auf das Sitzbankchen, ziehe sie aber gleich wieder zurück: es existiert. Dieses Ding, auf dem ich sitze, auf das ich meine Hand stützte, nennt sich Sitzbänkchen. Sie haben es extra dazu angefertigt, daß man sich draufsetzen kann, sie haben Leder, Federn und Stoff genommen, haben sich an die Arbeit gemacht mit der Absicht, eine Sitzgelegenheit zu machen, und als sie fertig waren, da war es das. Dann haben sie es hierher gebracht, in diesen Wagen, und der Wagen rollt und stoßt augenblicklich mit seinen zit ternden Scheiben, und in seinem Innern hat er nun dieses rote Ding. Ich murmle vor mich hin, ein wenig wie eine Austreibungsformel »Das ist ein Sitzbänkchen « Aber das Wort bleibt auf meinen Lippen haften, es setzt sich nicht auf dieses Ding. Und dieses bleibt, was es ist, mit seinem roten Plüsch, seinen Tausenden von roten Fußchen, die steif in die Luft ragen, Tausende von toten Füßchen. Dieser ungeheure, aufgeblähte, in die Luft sich reckende Bauch, dieser blutigrote, mit seinen Tausenden von toten Füßchen, dieser Bauch, der in dem Wagen schwimmt, unter diesem grauen Himmel - er ist kein Sitzbänkchen. Es konnte ebensogut, zum Beispiel, ein toter Esel sein, der — den Bauch nach oben - auf einem großen grauen Fluß, einer Überschwemmung dahergesegelt kommt, und ich säße auf dem Bauch des Esels, und meine Beine tauchten in das durchsichtige Wasser. Die Dinge haben sich von ihren Namen gelöst. Sie sind da - grotesk, eigensinnig, riesig, und es kommt einem närrisch vor, sie »Sitzbänkchen« zu nennen oder sonst irgend etwas über sie auszusagen; ich bin inmitten von namenlosen Dingen. Allein, ohne Worte, ohne Verteidigung sind sie rings um mich, sind unter mir, hinter mir, über mir. Sie fordern nichts, sie drangen sich nicht auf sie sind da.  - Jean-Paul Sartre, nach: Vom Geheimnis der alltäglichen Dinge. Hg. Johannes Werner. Frankfurt am Main 1998

 

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