innesverwirrung
Als der Reisende dem Wirt sagte, im Wald hinge ein
Toter an einem Baum, schon in Verwesung begriffen, hat der Wirt gesagt, daß
es sich bei dem Toten um den Papiermacher Silier handelt. Von Silier ist bekannt,
daß er an jenem Mittwoch, an dem er sich umgebracht hat, keinerlei Anzeichen
einer sogenannten Sinnesverwiirrung gezeigt hat, von einer solchen Sinnesverwirrung
des Silier ist aber monatelang gesprochen worden, alle Leute sprachen sofort,
war von Silier die Rede, das Wort Stnnesverwirrung aus, ich sage zum
Fuhrmann: Sie haben auch immer das Wort Sinnesverwirrung ausgesprochen.
Überhaupt ist das Wort Sinmsverrvirrung ein verheerender Unsinn, sage
ich. Wenn die Leute nicht weiterwissen oder überhaupt nichts mehr wissen, dann
reden sie von Sinnesverivirrung, wie ja überall und in allen Fällen,
wie Sie wissen, geehrter Herr, von allen Leuten, sie mögen noch so gebildet
sein, immer dann die sogenannte Sinnesverwirrung herangezogen wird, wenn
Verstand und Vernunft und Gefühl am Ende sind. Mit dem Begriff der Sinnesverwirrung,
der gar kein Begriff ist, gar kein Begriff sein kann,
wird unter den Menschen der allergrößte Unfug getrieben und immer mit diesem
Wort als einem Begriff unter alle menschlichen und vor allem unter alle unmenschlichen
Affären ein gewissenloser Schlußstrich gezogen, überall wird dieser unzulässige
Begriff, der gar kein Begriff ist, mißbraucht, ganze Völker setzen, wie Sie
wissen, unter ihre in jedem Falle immer erschütternde Buchhaltung immer wieder
das Wort Sinnesverwirrung. - Thomas Bernhard, Watten.
Ein Nachlaß. In: T.B., Die Erzählungen. Frankfurt am
Main 1979
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