inn, elementarischer Endlich dämmerte es in ihm: er empfand ein leises tiefes Mitleid mit sich selbst, er weinte über sich; sein Haupt sank auf die Brust, er schlief ein. Der Vollmond stand am Himmel; die Locken fielen ihm über die Schläfe und das Gesicht, die Tränen hingen ihm an den Wimpern und trockneten auf den Wangen - so lag er nun da allein, und alles war ruhig und still und kalt, und der Mond schien die ganze Nacht und stand über den Bergen.
Am folgenden Morgen kam er herunter, er erzählte Oberlin ganz ruhig, wie
ihm die Nacht seine Mutter erschienen sei: sie sei in einem weißen Kleid aus
der dunkeln Kirchhofmauer hervorgetreten und habe eine weiße und eine rote Rose
an der Brust stecken gehabt; sie sei dann in eine Ecke gesunken, und die Rosen
seien langsam über sie gewachsen, sie sei gewiß tot; er sei ganz ruhig darüber.
Oberlin versetzte ihm nun, wie er bei dem Tod seines Vaters allein auf dem Felde
gewesen sei und er dann eine Stimme gehört habe, so daß er wußte, daß sein Vater
tot sei; und wie er heimgekommen, sei es so gewesen. Das führte sie weiter:
Oberlin sprach noch von den Leuten im Gebirge, von Mädchen, die das Wasser und
Metall unter der Erde fühlten, von Männern, die auf manchen Berghöhen angefaßt
würden und mit einem Geiste rängen; er sagte ihm auch, wie er einmal im Gebirg
durch das Schauen in ein leeres tiefes Bergwasser in eine Art von Somnambulismus
versetzt worden sei. Lenz sagte, daß der Geist des Wassers über ihn gekommen
sei, daß er dann etwas von seinem eigentümlichen Sein empfunden hätte. Er fuhr
weiter fort: Die einfachste, reinste Natur hinge am nächsten mit der elementarischen
zusammen; je feiner der Mensch geistig fühlt und lebt, um so abgestumpfter würde
dieser elementarische Sinn; er halte ihn nicht für einen hohen Zustand, er sei
nicht selbständig genug, aber er meine, es müsse ein unendliches Wonnegefühl
sein, so von dem eigentümlichen Leben jeder Form berührt zu werden, für Gesteine,
Metalle, Wasser und Pflanzen eine Seele zu haben, so traumartig jedes Wesen
in der Natur in sich aufzunehmen, wie die Blumen mit dem Zu- und Abnehmen des
Mondes die Luft. - Georg Büchner, Lenz
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