Silberhochzeit  Frau Kranz hatte eine Dreizimmerwohnung und drei Töchter. Zwei Zimmer hatte sie wegen der schlechten Zeiten vermietet. Frau Kranz wohnte seit - immerhin - einiger Zeit von Herrn Kranz getrennt. Sie wußte nicht genau, wo er war. Eines Tages hatte er einen Zettel hinterlassen: Bin gleich wieder da. (Aber das konnte auch eine dumme Ausrede gewesen sein.)

Frau Kranz fühlte sich zur Hälfte als Witwe, zu einem Viertel als geschiedene und zum anderen als betrogene Frau. Aus dem ganzen summierte sich die Erziehung, die sie den drei Jungfrauen angedeihen ließ.

»Macht euch nichts daraus«, pflegte sie ihnen zu predigen -, »a) wenn ihr ihn verliert, b) wenn er euch verläßt, c) wenn er eine andere hat. Man muß sich mit allen Situationen im Leben abfinden können.«

Das war doch klug und weise gesprochen?

Und die drei machten sich daran, ihre Erfahrungen zu machen.

Es kam also zuweilen vor, daß in den vier Ecken des Zimmers, das sie gemeinsam bewohnten, je ein Teetisch für zwei Personen gedeckt wurde, an dem je ein Pärchen saß und Tee trank.

In drei Ecken die Töchter mit ihren Freunden, in der vierten die Mutter und auch ein freundlicher Herr.

Es war ein Idyll. Kaffee und Kuchen - oder Tee und Kekse -, Geplauder und Geplänkel. Es war mordsmäßig gemütlich.

Das ging einige Zeit. Bis es eines Tages klingelte.

Frau Kranz machte auf und fiel in Ohnmacht. Über ihre »Leiche« hinweg ging Herr Kranz durch die Tür und balancierte einen schönen Blumenkorb mit einer silbernen »25«. Frau Kranz blinzelte und sagte mit Grabesstimme: »Ich bin ohnmächtig.«  - Unica Zürn, Mama adoptiert einen Sohn.  Werke, Bd. 3. Berlin 1991

 

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