iebzehn  Man täte Dr. Bickleighs Gefühlen  unrecht, wollte man sie als bloße Verliebtheit bezeichnen. Dr. Bickleighs Empfindungen waren auf einem weit höheren Niveau als die gewöhnlicher Sterblicher; daran zweifelte er niemals.

Der Gedanke an Madeleine verließ ihn nie. Wenn er nicht wie ein Leuchtturm im Vordergrund strahlte, dann glomm er warm im Hintergrund. Er beleuchtete alle seine Gedanken und Taten mit einem hellen, heiligen Licht. Aus einem wunderschönen Ereignis war Madeleine bei ihm zu einer Besessenheit geworden. Alles andere in seinem Leben - außer Julia an den Abenden - war zu farbloser Unwirklichkeit verblichen. Selbst Julia gab es nur, wenn er bei ihr war.

Er erkannte diese Besessenheit und verglich sie ganz aufrichtig mit den Ekstasen gewisser wohlbekannter Heiliger. Aber die Verkündigung, die sich ihm eröffnet hätte, war, das fühlte er, zumindest in einem Punkt größer als ihre. Denn wenn es zweifellos ganz wunderbar ist, wenn die Gottheit zum Menschen wird, ist es nicht ein viel größeres Wunder, wenn ein Mensch zur Gottheit wird? Hätte er überhaupt gebetet, er hätte seine Gebete an den Geist Madeleines gerichtet.

Da stand er, unterwürfig erstaunt über das Unglaubliche, das ihm geschehen. Daß eine Frau, die die Verkörperung der Reinheit war, des Unirdischen, sich zu solch grobem Lehm herablassen sollte, wie er es war - daß sie hinabgriff, um auch ihn zu ihrer erhabenen Höhe zu erheben! Und sie hatte ihn erhoben. Sein altes Leben mit seinem üblen Interesse an Geld und Frauen, mit seinen schlauen, kleinlichen Zielen lag in Trümmern. Mit ausgestrecktem Finger deutete Madeleine auf den Weg zu edlerem Ehrgeiz und zu reineren Ausblicken. Seine alte Schüchternheit begann zu schwinden. Wie konnte er sich irgend jemandem in der Welt unterlegen fühlen, wenn Madeleine ihn liebte? Madeleine mit ihren süßen, keuschen Küssen, die nichts waren als der körperliche Ausdruck einer Gemeinschaft der Seelen.

Er begehrte sie nicht. Auf diese Art hatte er gar nicht an sie gedacht. Sie stand einfach außerhalb des Bereiches grober fleischlicher Gelüste. Jeder Kuß, den sie austauschten, war für ihn Teil eines atemberaubend heiligen Rituals. Und er, der gewohnt gewesen war, jede Frau abzutasten, sobald sie ihm ihre Lippen gereicht hatte, erstrebte nie die geringste Vertraulichkeit einer Berührung bei Madeleine. Ihr Körper war sakrosankt.

Mit einem Wort, es war Dr. Bickleigh irgendwie gelungen, wieder siebzehn Jahre alt zu werden. - Francis Iles, Vorsätzlich. München o. J. (Goldmann 3059, zuerst 1931)

 

Zehn

 

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