Sich Gewalt antun    Natürlich habe ich alles falsch gemacht, und daran wäre nichts merkwürdig, wenn ich es nicht falsch gemacht hätte (jetzt meine ich, das ganz klar zu sehen) in dem Wissen, es falsch zu machen, gleichsam aus Starrsinn oder aus einer Überlegung heraus, die in sich vielleicht nobel war, sich aber in der Konfrontation mit den Tatsachen und mit der Zeit als niedrig erwies, wie jene, die mir weder Rechtfertigung und Erkenntnis noch meinem Herzen Frieden gebracht hat. Ich hatte mir vielleicht gesagt, daß ich alles dieser wunderbaren, edlen Sache opfern müsse, welche die Poesie ist, und indem ich dem zum Teil Rechnung trug und mich dessen rühmte, meist ohne es zu merken, tat ich meiner Natur soviel Gewalt an, daß es nicht verwundert, wenn sie nie Frieden gefunden hat und findet: Gewiß, es ist sicherlich gut, sich Gewalt anzutun, aber nur bis %H einem gewissen Grad, jenseits dessen man in schwarze Sünde verfällt, und ich stelle mir vor, daß sich für den wahren Menschen die Übung der Einsicht darauf beschränkt, sich so weit wie möglich dieser Grenze zu nähern, ohne sie zu überschreiten. Und ich frage mich: Kann das wirklich Leben sein? Ich habe immer den Schreibtisch gehaßt, ich habe immer zwar nicht so sehr die Lektüre, aber das System des Lesens gehaßt, dieses Stillsitzen mit einem Gegenstand in der Hand, über den man stundenlang die Augen schweifen läßt; mein literarischer Instinkt, sollte ich je einen gehabt haben, drängte mich zu etwas, das mit dem Leben vermählt ist, etwas, das in ihm ein Objekt zu formen fände; und habe ich das Leben selbst je anders begriffen als ein freies und wildes Leben, kurz als das wahre Leben? Doch statt dessen, durch Ausweicben und Ersetzen und Symbolisieren, finde ich mich nun hier ohne Hoffnung in diesen kläglichen Spielen der Feder gefangen, wohl wissend, daß ich nichts ersetzt habe, daß ich nichts ersetzen kann, denn man ersetzt das Leben nicht durch den Tod, nicht das, was ist, durch das, was nicht ist... Ja, «Das Abenteuer und das Geheimnis, die beiden göttlichen Reisenden auf den Erdenwegen»: Das ist es, was man nie wieder geschrieben rinden wird, weder von anderen noch von einem selbst. Das wahre Abenteuer, nicht die sogenannten Abenteuer des Geistes, welche die Dummen oder die Feigen oder die Unredlichen so hinreißen. Denn es liegt auf der Hand, daß man mit dem Geist nie das Kommen des Geistes selbst provozieren kann, genausowenig wie man mit der Musik Musik schaffen kann, mit der Malerei Malerei, mit der Literatur Literatur: Alles bedarf der Vermittlung, um zu leuchten und zu herrschen. Doch im übrigen, kann man es nicht einmal so ausdrücken: Das Leben (aber das gelebte!) ist die Substanz selbst, und zwar die einzige Substanz des Geistes? — Caetera desiderantur, würde De Maistre sagen.   - (land3)
 

Gewalt Zwang

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