Sich einfügen   Da überstürzte ihn, wie weit er abseits stand, und es drängte ihn, sich auch zu schließen. Nach einem Damm rief es in ihm, nach einer Hürde, die Vollendung strebte er an, die er hier gewahrte. Er grübelte, er suchte, er bog sich weit zurück. Er, seinerseits, er wässerte, er triefte von den Erden und Flüssen, und schließlich litt er gar zu sehr: ich will mich Diesterweg nennen, sagte er vor sich hin, ich will eintreten, ich will wieder heißen, und Diesterweg soll mit geschehn.

Womit? Zunächst im Anzug, Diesterweg, daß er die Scham verdecke und den Schritt gefällig mache und wegen des verlorenen Haarkleids hier im Nebelland!5 Dann schniefe0 ein wenig Flüssiges durch die Nase, regelmäßig, rhythmisch, das nimmt ein: ein bißchen unerzogen, denkt der Übergeordnete, einfache Familie, unäußerlich, doch sachlicher Mann!

Sammlersinn! Freude am Vergleichen! Organisches Seelenleben! Dies zu Anfang.

Doch der Arzt, solide, griff alles an der Wurzel an. Früher hatte sich Diesterweg wohl hie und da gefragt, warum dieser Mahn heiße und jener Matzke. Sie behaupteten und widersprachen, und ihr Erfahrungsleben war die Unterlage. Jetzt aber erstand vor ihm Matzke, durch dessen Hämmerchen der Fortschritt schlug.

Bedenken Sie doch auch jene dunklen Epochen vergangener Jahrhunderte, äußerte sich eine neue Stimme, demgegenüber wir: ungetrübt, freie Forschung, Wasserspülung bis in die Zirbeldrüse: und dies war Matzke, scharf hob sich sein Profil ab als das des Verwerfers des Mittelalters. Vollends: überhaupt die ganze romanische Kultur, vernahm man ein drittes Organ, Rechtschaffenheit und Impfzwang sei doch die Hauptsache -: nun trat gar der hervor, der in die Zukunft sah.

Da: Er habe überhaupt etwas Ironisches an sich, bemerkte ein neuer Herr, und gemeint war Matzke. Diesterweg befiel es wie ein Schlag. Matzke hatte also etwas mitbekommen oder an sich herausgearbeitet bis zu einem Grade, daß es einem Mitherrn ein Urteil darüber abzugeben Veranlassung gab. Es ging - und das war nicht zuviel gesagt - ein Eindruck von ihm aus. Er war reell beeigenschaftet. Es trat etwas entgegen - kurz, wie der Herr eben treffend bemerkt hatte - er war nicht nur jemand, nein, er hatte etwas an sich.

Diesterweg sah an sich herunter. Längst wollte er etwas an sich haben. Er überlegte. Vielleicht ginge es mit einem Tick, etwa einer bestimmten Bewegung mit der Hand; etwa ein kurzes, rasches Wischen mit dem Zeigefinger an der Backe, ein nervöses Wischen - jawohl, das war es: ein nervöses Wischen, unterbewußt, in Gedanken versunken, eine Art Naturzwang, höchst persönlich; niemand könnte ihm das Eigentümliche bestreiten, man könnte es vielmehr geradezu etwas bloßstellend finden, bereits schon etwas wenig beherrscht, jedenfalls stark würde es an ihm hervortreten, es wurde Diesterwegisch sein, ein nervöses Wischen mit dem Zeigefinger an der Backe.   - Gottfried Benn, Diesterweg. In: G. B., Prosa und Szenen. Ges. Werke Bd. 2. Wiesbaden 1962

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