hakespeare  Ich kenne einen guten Hamburger Christen, der sich nie darüber zufrieden geben konnte, daß unser Herr Heiland von Geburt ein Jude war. Ein tiefer Unmut ergriff ihn jedesmal, wenn er sich eingestehen mußte, daß der Mann, der, ein Muster der Vollkommenheit, die höchste Verehrung verdient, dennoch zur Sippschaft jener ungeschneuzten Langnasen gehörte, die er auf der Straße als Trödler herumhausieren sieht, die er so gründlich verachtet, und die ihm noch fataler sind, wenn sie gar, wie er selber, sich dem Großhandel mit Gewürzen und Farbestoffen zuwenden, und seine eigenen Interessen beeinträchtigen.

Wie es diesem vortrefflichen Sohne Hammonias mit Jesus Christus geht, so geht es mir mit William Shakespeare. Es wird mir flau zumute, wenn ich bedenke, daß er am Ende doch ein Engländer ist, und dem widerwärtigsten Volke angehört, das Gott in seinem Zorn erschaffen hat.

Welch ein widerwärtiges Volk, welch ein unerquickliches Land! Wie steifleinen, wie hausbacken, wie selbstsüchtig, wie eng, wie englisch! Ein Land, welches längst der Ozean verschluckt hätte, wenn er nicht befürchtete, daß es ihm Übelkeiten im Magen verursachen möchte... Ein Volk, ein graues, gähnendes Ungeheuer, dessen Atem nichts als Stickluft und tödliche Langeweile, und das sich gewiß mit einem kolossalen Schiffstau am Ende selbst aufhängt...

Und in einem solchen Lande, und unter einem solchem Volke, hat William Shakespeare im April 1564 das Licht der Welt erblickt.

Aber das England jener Tage, wo in dem nordischen Bethlehem, welches Stratfort upon Avon geheißen, der Mann geboren ward, dem wir das weltliche Evangelium, wie man die Shakespeareschen Dramen nennen möchte, verdanken, das England jener Tage war gewiß von dem heutigen sehr verschieden; auch nannte man es merry England, und es blühete in Farbenglanz, Maskenscherz, tiefsinniger Narretei, sprudlender Tatenlust, überschwenglicher Leidenschaft... Das Leben war dort noch ein buntes Turnier, wo freilich die edelbürtigen Ritter im Schimpf und Ernst die Hauptrolle spielten, aber der helle Trompetenton auch die bürgerlichen Herzen erschütterte... Und statt des dicken Biers trank man den leichtsinnigen Wein, das demokratische Getränk, welches im Rausche die Menschen gleich macht, die sich eben noch auf den nüchternen Schauplätzen der Wirklichkeit nach Rang und Geburt unterschieden...

All diese farbenreiche Lust ist seitdem erblichen, verschollen sind die freudigen Trompetenklänge, erloschen ist der schöne Rausch .. Und das Buch, welches Dramatische Werke von William Shakespeare heißt, ist als Trost für schlechte Zeiten, und als Beweis, daß jenes merry England wirklich existiert habe, in den Händen des Volkes zurückgeblieben. - Heinrich Heine, Shakespeares Mädchen und Frauen (1839)

Shakespeare (2)  Seit Ihrer Karte neulich aus England aus seinem angeblichen Geburtsort las ich ihn wieder. Ich gab meiner Frau Hamlet, den sie nicht kannte. Ich war verblüfft über die Wirkung. Sie war hingerissen u kam wochenlang nicht los. Ich fand von jeher, alle die Moritatenleichen, die Dolche, Balkone, Strickleitern, Ringe und Fässer, alles nur Firlefanz, an den er seine unerschöpflichen Spitzfindigkeiten, Thesen, Blitze, Witze anmontiert, mit denen er den Geist motiviert (der ja zu allen Zeiten sehr der Motivierung bedurfte!), hinter denen er seine unaufhörlich strömende unbesiegbare Genialität verbirgt. Man kann ihn nur als ein reines Gefüge von Geist u. Sprache ansehn. Deshalb sehe ich ihn auf der Bühne sehr ungern, er langweilt mich da mit Hilfe dieser dämlichen Schauspieler. Aber zu lesen: nur er u. immer wieder, immer da und nie zu halten, überall klar u. doch nie zu verstehn. Dass man von seiner Person nichts weiss, hängt wohl damit zusammen, dass er Theater war u. alles,was damit zusammenhing, obscur, anonym, peinlich, ungesellschaftlich war. Ausserdem wird man ihn doch auch als "Scheingrösse u. Nichtskönner" angesehn haben, Fatzke, Budenbesitzer, Menagerieprolet.  - Gottfried Benn an F.W. Oelze, 6.7. 1938

Shakespeare (3) hat eine besondere Gabe das Närrische auszudrücken, Empfindungen und Gedanken zu malen und auszudrücken, die man kurz vor dem Einschlafen oder in leichtem Fieber hat. Mir ist alsdann schon oft ein Mann wie eine Einmaleins-Tafel vorgekommen, und die Ewigkeit wie ein Bücherschrank. Er müßte vortrefflich kühlen, sagte ich, und meinte den Satz des Widerspruchs, ich hatte ihn ganz eßbar vor mir gesehen.  - (licht)

Shakespeare (4) Zu meinem Vergnügen male ich mir häufig folgendes Bild von Shakespeare: er war ein Mann von vergleichsweise geringem Wissen, ganz im Einklang mit der orthodoxen Überlieferung, der seine Tage in rührender Regelmäßigkeit und Einfachheit dahinbrachte: Haus und Weib in irgendeinem Vorort, entzückende Kinder, ein junges Ding am Hof (das er wirklich nie mit seinem Schreiben verwechselte), und schließlich ein Leben im Caféhaus, das ihn mit den entdeckungsfrischen Neuigkeiten versorgte, von denen seine Imagination lebte. London war voll von dem, was Wissenschaften und Abenteuerreisen an Erkenntnissen bringen. Was er kannte, sah er in der >Mermaid<. Er fiel dort nicht besonders auf, außer durch seinen Witz.

Seine Form verdankte er Marlowe und seine Geschichten den Erzählungen seiner Gefährten, wenn nicht irgendein Kompilator sie ihm vorlegte. Seine Gestalten aber atmeten das Leben um ihn herum.

Wenn er mit der ihm eigenen Intelligenz unter der hohen Kuppel seines Kopfes die Kräfte des Lebens fühlte, brauchte er nur Schreibzeug, um sich seiner Gedanken zu entäußern. Gerade sein Mangel an jeder wissenschaftlichen Unterweisung setzte sein Talent frei. Er war unbehindert.

Wissen für sich in Anspruch zu nehmen, wäre im Falle S. lächerlich gewesen - da lag nicht sein Heil -, aber daß er Wissen besaß, und zwar ein außerordentliches Wissen von dem, was ihn betraf wie auch die Menschen seiner Umgebung, das war für ihn offenkundig. Für die anderen war es das nicht.

Seine wirkliche Begabung entsprang AUSSCHLIESSLICH der Imagination. Nicht befugt, als W. S. zu sprechen, was ihm eigentlich gerade wegen seines Mangels an Wissen, an Gelehrsamkeit, verwehrt war, nicht in der Lage, es mit seinen Gefährten an wissenschaftlicher Vorbildung oder abenteuerlichen Unternehmungen aufzunehmen, und doch scharfsinnig genug, phantasievoll genug, um zu wissen, daß es für ihn nur eine Rettung gab; den Weg der Vervollkommnung, herausragender Leistung, überragenden Könnens, ließ er sich vom Schwung seiner Imagination emportragen, NICHT UM SIE ZU KOPIEREN, nicht um den Spiegel zu ihnen hinaufzuhalten, sondern um ihnen gleich zu werden und sie schließlich zu übertreffen, als Schöpfer von Erkenntnis, als starke, lebendige Kraft zu ihren Häupten.

Der Weg, der ihn befreite, war nicht vorgetäuscht, sondern echt. Hamlet schrieb er zweifellos um die Mitte seines Lebens.

Er spricht gebieterisch - durch seine Phantasie, durch seine Gestalten, durch seine Form. Die Dinge seiner Welt waren wirklich für ihn, weil er sich ihrer bedienen konnte und sie mit Verstand zu gebrauchen wußte um seiner Erfindungen willen -

Die Imagination ist eine —  - William Carlos Williams, Frühling und Alles, nach (wcw)

Shakespeare (5) Sophie blickte ihn eine Weile nachdenklich an, auf ihrer Stirn zeichnete sich eine tiefe Sorgenfalte ab. »Du mußt ganz schön gelitten haben...«, sagte sie schließlich traurig.

»Sophie«, rief Bruno erneut, »weißt du, was Nietzsche über Shakespeare geschrieben hat? »Was muß ein Mensch gelitten haben, um dergestalt es nötig zu haben, Hanswurst zu sein!.. .< Ich war schon immer der Ansicht, daß Shakespeare ein Autor ist, der völlig überschätzt wird; wenngleich er allerdings ein beachtlicher Hanswurst ist.«Er hielt inne, stellte überrascht fest, daß er tatsächlich zu leiden begann. Die Frauen waren manchmal so ausgesprochen liebenswürdig; sie reagierten auf Aggressivität mit Verständnis, auf Zynismus mit Sanftheit. Welcher Mann - würde sich so verhalten? »Sophie, ich habe Lust, deine Möse zu lecken...«, sagte er gerührt; aber diesmal hörte sie nicht, was er sagte. Sie hatte sich zu dem Skilehrer umgewandt, der drei Tage zuvor ihren Hintern befummelt hatte, und ein Gespräch mit ihm begonnen. Bruno war ein paar Sekunden wie vor den Kopf gestoßen.  - Michel Houellebecq, Elementarteilchen. München 2001 (zuerst 1998)

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