exualleben   Jeden Freitag, das heißt an dem Tag, an dem die wenigsten Besucher da waren, kam Mauvoisin ins Kino, und zwar, wenn die Vorstellung bereits begonnen hatte. Die Platzanweiserinnen standen bei der Tür, ihre kleine Taschenlampe in der Hand.

Mauvoisin ließ sich zu einer Loge führen. Manchmal ging er sofort zum Angriff über. Er hielt die Platzanweiserin am Ärmel fest und flüsterte ihr zu:

»Bleiben Sie . . .«

Dann wieder wartete er, öffnete die Tür der Loge ein Stück, machte ein Zeichen . . .

Das war alles, was man von seinem Sexualleben wußte. Er hatte nicht immer Erfolg. Bei Colette hatte er nichts erreicht, und wochenlang hatte er seine Versuche wiederholt.

Eines Morgens hatte jemand an der Tür in der Rue de l'Evescot geklingelt. Es war ein Angestellter von Mauvoisin. Colette, die die Wohnung sauber machte, hatte ihm geöffnet.

»Wohnt hier eine blonde Platzanweiserin vom Kino Olympia?«

»Ja, Monsieur . . . Warum?«

»Nur so ... Vielen Dank.«

Mauvoisin wußte jetzt, wo Colette wohnte. Er wußte, um wieviel Uhr sie von zu Hause wegging, um sich zu ihrer Arbeitsstelle zu begeben.

Ruhig und plump wartete er an der Straßenecke auf sie. So ging das noch wochenlang. Unterdessen hatte er die Möglichkeit gefunden, das Haus zu kaufen, in dem Colette und ihre Mutter nur zur Miete wohnten.

»Wenn Sie nett zu mir sein wollten . . .«

Sie war weggelaufen an dem Abend, als er ihr an einer Einfahrt den Weg versperrte, um ihr dieses Angebot zu machen. Einen Monat später machte er ihr das Angebot, sie zu heiraten.

»Ich wußte nicht mehr, was ich tun sollte«, hatte Colette Rinquet gestanden. »Er hätte uns die Wohnung kündigen können. Er hätte mich im Kino vor die Tür setzen lassen und dafür sorgen können, daß ich keine andere Stelle finde.«

Mauvoisin hatte in dem Haus am Quai des Ursulines nichts für sie geändert, sowenig wie er etwas an seiner Lebensweise geändert hatte. Sie hatte in dem großen Ehebett neben dem dicken, schnaufenden Mann geschlafen. Morgens hörte sie ihn um sechs Uhr aufstehen, sich waschen und anziehen. Sie sah ihn nur zu den Mahlzeiten. - Georges Simenon, Ankunft Allerheiligen. Zürich 1979 (detebe 135/14, zuerst 1941)

 

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