exualität,
regulierte
Das geradezu besessene Interesse der Kirche an sexuellen Dingen
unterscheidet sich in hohem Maße von den Ausführungen des heiligen Paulus. Die
Kirche schwieg mehr oder weniger zu den Themen Polygamie oder unehelicher Nachwuchs,
obwohl beides gang und gäbe war und gegen die Doktrin verstieß. Statt dessen
konzentrierte sie sich auf drei Dinge. Erstens: Scheidung, Wiederverheiratung
und Adoption. Zweitens: Ammenwesen und Geschlechtsverkehr in Zeiten, in denen
die Liturgie Abstinenz forderte. Drittens: »Inzest« zwischen Personen, deren
Verwandtschaftsgrad nach kanonischem Recht weniger als sieben betrug. Mit allen
drei Regelungen schien die Kirche verhindern zu wollen, daß ein Herrscher legitime
Erben produzierte. Ein Mann, der im Jahre 1100 der kirchlichen Doktrin gehorchte,
durfte sich von einer kinderlosen Frau nicht scheiden lassen und schon gar nicht
zu ihren Lebzeiten wieder heiraten. Er konnte keinen Erben adoptieren, seine
Frau durfte eine Tochter im Säuglingsalter nicht einer Amme überlassen, um rascher
ein weiteres Kind bekommen zu können, in der Hoffnung, daß es ein Sohn würde,
und er durfte mit seiner Frau »drei Wochen vor Ostern, vier Wochen vor Weihnachten
und ein bis sieben Wochen vor Pfingsten nicht schlafen, ebenso nicht sonntags,
mittwochs, freitags und samstags - nicht an Tagen der Buße und des Gebets, und
an verschiedenen anderen Festtagen ebenfalls nicht«. Er konnte mit keiner Frau
einen legitimen Erben haben, die ihm verwandtschaftlich näher stand als eine
Cousine siebten Grades - womit die meisten adligen Frauen im Umkreis von hundert
Meilen ausgeschlossen waren. All das addiert sich zu einem steten Kampf der
Kirche gegen die Geburt von Erben. Und »der Kampf um die Erbschaftsregelungen
- um die Ehe - begann erst, als sich die Kirchen mit jüngeren Brüdern von Männern
hohen Standes füllten«. Kirchenangehörige (enterbte jüngere Söhne) manipulierten
die Sexualmoral, um den kircheneigenen Wohlstand zu erhöhen, oder gar, um sich
selbst wieder Wohlstand und Titel zu verschaffen. -
Matt Ridley, Eros und Evolution. Die Naturgeschichte der Sexualität. München
1995 (zuerst 1993)
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