elbstzeugung
Purusha wird mit tausend Köpfen und tausend Füßen beschrieben. Er bedeckte
die Erde vollständig und ragte noch darüber hinaus. Er gilt als Herrscher der
Unsterblichkeit. Er breitete sich aus und zwar durch Selbstzeugung. Er entließ
die Viraj, das weibliches Schöpfungsprinzip, aus sich und ließ dann aus ihr die
Welt gebären. Den so geborenen Purusha bringen die Götter als Opfergabe dar.
In diesem Opfer wurden die Verse und Gesänge geschaffen. Die Pferde
und Kühe wurden geboren. Der Mund
von Purusha wurde zu den Brahmanen, die Arme zu den Kshatriyas,
die Schenkel zu den Vaishyas und die Füße
zu den Shudras. Aus seinem Geist wurde der Mond geboren,
aus seinen Augen die Sonne. Indra und Agni kamen aus
seinem Mund. Aus seinem Kopf entstand der Himmel,
aus seinem Nabel das Weltall. -
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Selbstzeugung (2) Ich
wußte nicht, ob ich existierte; man hatte es mir verschwiegen, daß ich geboren
worden war. Um mich zu bestrafen, hatte man es mir verschwiegen, denn ich war
nicht der Gegenstand geworden, den man mit mir hatte der Welt überreichen wollen.
Ja, ich hatte den Fehler gemacht, mich gebären zu lassen, mich aufziehen zu
lassen vom Staat und seiner Erziehung, von der Erziehung und ihrem Staat, ich
hatte mich geradezu angeboten dafür - doch dann war ich anders geworden. Also
hatte ich nichtig zu sein, es gab weder eine Gebärmutter, noch eine Erziehung,
noch einen Staat für die Kreatur, die aus mir geworden war. Ich hatte nicht
einmal einen Namen zu beanspruchen. Wenn ich beginnen wollte, die Welt zu beschreiben,
meine Stadt zum Beispiel, wie ich sie sah durch meine Augen, mußte ich mich
erst einmal selbst zeugen, ich mußte es bei jedem neuen Ansatz zu einer solchen
Beschreibung. Aber in der beispiellosen Fehlleistung meines Wachsens war ich
es der Erziehung und dem Staat nicht wert gewesen, über die technischen Einzelheiten
eines Zeugungsaktes unterrichtet zu werden. Als ich
es endlich, durch Zufall, von selbst erfuhr, begann ich, meine rechte Faust
zu einem sich auf diesen Akt bezüglichen, bildhaften Zeichen verformend, durch
die Stadt zu stürzen, dieses Zeichen am wehenden Unterarm durch die Luft schleudernd,
um jedermann deutlich zu erkennen zu geben, daß ich entschlossen war, mein Ich
noch einmal zu zeugen. Ich gab damit ein Versprechen ab, eines an meine Erziehung:
Laßt es mich einmal tun, damit ich endlich Ich werde. - Und gleichzeitig ein
Versprechen an den Staat: Wenn ich Ich werde, wenn ich dasselbe tun kann wie
meine Mutter mit ihrem Phallus, werde ich so sein wie ihr, und damit so, wie
ihr mich wollt. Ich werde ein Schwein werden, ein alter Bock, ein Patriarch,
ein Offizier, ein Werkzeugmacher. Wenn ihr mich einmal laßt, werde ich die Müllhalden
freiwillig verlassen, ich werde nie wieder Pornograf sein, ich werde auf die
Rache verzichten. Ich werde den Ausrottungsversuch des Staates meinem Geschlecht
gegenüber, der im Verschweigen meiner Möglichkeit zur Fortpflanzung bestand,
vergessen, ja, ich werde ihn akzeptieren, ich werde auf Fortpflanzung verzichten,
ich werde nurmehr mich selbst zu zeugen versuchen. - (
hilb2
)
Selbstzeugung (3) Die Göttin war menschlich und tierisch zugleich, Geierweib und Leopardin, und auch ihr Paredros war einerseits ein Mann, andererseits Auerochse, Widder und Leopard. So wird die Göttin von Hacilar in Figurinen dargestellt, wie sie junge oder verkleinerte Leoparden tragt oder auf ihnen sitzt, und in anderen Fällen, wie sie von vorn oder von hinten von einem Menschen bestiegen wird,
der entweder ein Jugendlicher oder ein verkleinerter Mann ist.
Anscheinend verkörperte dieser Paredros das werdende und immer wieder vergehende Leben, das aus dem Schoß der Göttin entsprang und in ihn zurückkehrte, und so wird auch die Göttin von Çatal Hüyük dargestellt, wie sie einem Stier das Leben schenkt.
Vollzog dieser Stiermann mit seiner Mutter den Beischlaf, um sich selber
zu zeugen, so wie es bei den Ägyptern der Fall war? Ist die göttliche Mutter
von Çatal Hüyük die steinzeitliche Ahnmutter der kretischen Pasiphae, die sich
von einem Stier bespringen läßt, um den Minotaurus, den ›Stier des Minos‹, zur
Welt zu bringen, was nichts anderes bedeutet, als daß der Stier sich ewig
in seiner Mutter selber zeugt? -
Hans Peter Duerr, Sedna oder Die Liebe zum Leben. Frankfurt
am Main 1984
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