elbstvertrauen  Er stieg langsam die Stufen hinauf, mit klopfendem Herzen und ängstlichem Gemüt, vor allem mit der quälenden Befürchtung, lächerlich zu wirken. Plötzlich erblickte er vor sich einen Herrn in großer Toilette, der ihn betrachtete. Sie waren einander so nahe, daß Duroy einen Schritt zurückwich, dann blieb er aber verdutzt stehen: er selbst war es, der aus einem hohen, bis auf den Boden reichenden Spiegel heraussah, der auf dem Treppenabsatz im ersten Stock die Perspektive einer langen Galerie wiedergab. Ein freudiger Schauer ließ ihn erbeben, denn er fand sich viel besser aussehend, als er geglaubt hätte.

Da er zu Hause nur seinen kleinen Rasierspiegel besaß, hatte er sich nicht in ganzer Größe betrachten können, und da er darin nur sehr schlecht die verschiedenen Einzelheiten seines improvisierten Anzugs sehen konnte, machte er sich übertriebene Vorstellungen von dessen Unzulänglichkeiten und war ganz verzweifelt bei dem Gedanken, komisch zu erscheinen.

Aber nun hatte er sich nicht einmal erkannt, wie er da so plötzlich im Spiegel erschien; er hatte sich für einen andern, für einen Herrn der guten Gesellschaft gehalten, den er auf den ersten Blick sehr gut aussehend und sehr elegant gefunden hatte.

Und als er sich jetzt sorgfältig betrachtete, erkannte er, daß die Gesamterscheinung wirklich zufriedenstellend war. Da beobachtete er sich prüfend, wie es die Schauspieler tun, um ihre Rollen einzustudieren. Er lächelte sich zu, reichte sich die Hand, machte verschiedene Bewegungen, drückte Gefühle aus: Staunen, Vergnügen, Zustimmung; und er probte die verschiedenen Abstufungen des Lächelns und den wechselnden Ausdruck des Auges, um sich den Damen gegenüber galant zu zeigen und ihnen zu verstehen zu geben, daß man sie bewundert und daß man sie begehrt. Eine Tür wurde im Treppenhaus geöffnet. Er fürchtete überrascht zu werden und begann schleunigst hinaufzugehen, voller Angst, beim Gesichterschneiden von einem Gast seines Freundes gesehen worden zu sein.

Als er in den zweiten Stock gelangte, erblickte er wieder einen Spiegel, und er verlangsamte seinen Schritt, um sich im Vorbeigehen zu betrachten. Seine Erscheinung kam ihm wirklich elegant vor. Er hatte einen tadellosen Gang. Ein maßloses Selbstvertrauen erfüllte sein Inneres. Mit diesem Aussehen und seinem Vorsatz, es zu etwas zu bringen, bei der Entschlossenheit, die er an sich kannte, und seiner geistigen Selbständigkeit würde er bestimmt Erfolg haben. Als er zum letzten Stockwerk hinaufstieg, wäre er am liebsten gelaufen, ja gesprungen. Er blieb vor dem dritten Spiegel stehen, drehte seinen Schnurrbart mit der ihm vertrauten Bewegung, nahm den Hut ab, um sein Haar in Ordnung zu bringen, und murmelte halblaut vor sich hin, wie er das oft tat: „Das ist eine ausgezeichnete Erfindung."   - Maupassant, Bel-ami. Hattingen 1961 (zuerst 1885)

 

Selbst Kraft Vertrauen

 

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