elbstlosigkeit    An Haß hat es vermutlich niemals in der Welt gefehlt; aber nun wuchs er zu einem entscheidenden politischen Faktor in allen öffentlichen Angelegenheiten heran . . . Der Haß konnte sich auf niemand und nichts wirklich konzentrieren;  er fand niemanden vor, den er verantwortlich machen konnte — nicht die Regierung und nicht die Bourgeoisie und nicht die jeweiligen Mächte des Auslandes. So drang er in alle Poren des täglichen Lebens und konnte sich nach allen Richtungen verbreiten, konnte die phantastischsten, unvorhersehbarsten Formen annehmen . . . Hier war jeder gegen jeden und vor allem gegen seine Nachbarn ...Was aber die modernen Massen von dem Mob vergangener Zeiten unterscheidet, ist die Selbstlosigkeit und Desinteressiertheit am eigenen Wohlergehen . . . Selbstlosigkeit, nicht als Güte, sondern als Gefühl, daß es auf einen selbst nicht ankommt, daß das eigene Selbst jederzeit , und überall durch ein anderes ersetzt werden kann . . . Dies Phänomen eines radikalen Selbstverlusts, diese zynische oder gelangweilte Gleichgültigkeit, mit der die Massen dem eigenen Tod begegneten, war ganz unerwartet. . . Sie leiden an einem radikalen Schwund des gesunden Menschenverstandes und seiner Urteilskraft sowie an einem nicht minder radikalen Versagen der elementarsten Selbsterhaltungstriebe. - Hannah Arendt, nach:  H. M. Enzensberger, Aussichten auf den Bürgerkrieg. Frankfurt am Main 1993

Selbstlosigkeit (2)  Er hat sich mit dem Korps der Feuerwehrmänner angefreundet, für die er anläßlich des Balls, den sie alljährlich geben, ein prächtiges Transparent gemalt hat; aber bittere Ironie, als Bezahlung hat er dafür bloß ein paar wohlgemeinte Worte des Seine-Präfekten bekommen, der ihn zu der Selbstlosigkeit beglückwünschte, mit der er sich in den Dienst eines so hochverdienten Korps gestellt habe. Wie alles, was er macht, hat diese Malerei von elf Tagen ihm nur zwei Diners eingetragen . . . Und er ist froh, zufrieden und ganz stolz, weil er jemanden hat pfänden lassen, voller Dünkel kurzum über eine Schuldforderung, die er eintreiben wird. Von Beruf ist er im Augenblick Amateur-Apothekergehilfe.

Wahrhaftig, ich habe vor ihm größere Hochachtung als vor manchem anderen, wenn ich um mich blicke und wenn ich sehe, wie der Bursche, dessen Unglück es freilich ist, das Pack zu lieben, sein letztes Stück Brot mit dem Erstbesten teilt; das Pumpen ist ihm zuwider, und er ist unfähig, seine Abneigungen zu verleugnen und jemandem schön zu tun, nur um einen Auftrag zu bekommen; hurenhaft banal, aber voller Feinfühligkeit, unfähig zum Neid; ein Lehrer in Skeptizismus; seiner Mutter hat er als Weihnachtsgeschenk einen Maulkorb versprochen.  - (gon)

Selbstlosigkeit (3) Alle Schwarzen haben einen starken Sinn für dramatische Wirkung. Kamante hatte seine Beine bis zum Knie sorgsam mit alten Binden umwickelt, um mir eine Überraschung zu bereiten. Es war klar: er sah die besondere Bedeutung des Augenblicks nicht in seinem eigenen Glück, sondern dachte selbstlos an das Vergnügen, das er mir machen wollte. Er erinnerte sich wohl, wie verzweifelt ich gewesen war, wenn meine Kuren mit ihm immer wieder mißrieten, und wußte, daß der Erfolg der Behandlung im Krankenhaus etwas Wunderbares war. Langsam, ganz langsam wickelte er die Binden vom Knie bis zur Ferse ab: darunter kamen zwei vollkommen heile Beine zum Vorschein, nur von blassen grauen Narben gezeichnet.

Als Kamante mein Staunen und meine Freude mit seiner großartigen Ruhe ausgekostet hatte, trat er mit der zweiten Überraschung hervor: er sei jetzt ein Christ. «Ich bin wie du», sagte er. Er fügte hinzu, ich könne ihm vielleicht in Anbetracht unserer gemeinsamen Seligkeit eine Rupie schenken, da doch Christus heute auferstanden sei.  - (blix2)

Selbstlosigkeit (4)

 

Selbst

 

Oberbegriffe
zurück 

.. im Thesaurus ...

weiter im Text 
Unterbegriffe

 

Verwandte Begriffe
Altruismus
Synonyme