Selbsthaß  Vater Christofor plauderte mit Solomon. »Na wie, du weiser Solomon?« fragte er und gähnte, wobei er den Mund bekreuzigte. »Wie gehen die Geschäfte?«

»Von was für Geschäften reden Sie?« fragte Solomon und blickte derart tückisch, als hätte man auf irgendein Verbrechen angespielt.

»Na so überhaupt ...Was machst du Gutes?«

»Was ich mache?« fragte Solomon zurück und zuckte die Achseln. »Das gleiche wie die anderen alle ... Sie sehen, ich bin ein Lakai. Ich bin der Lakai des Bruders, der Bruder ist der Lakai der Durchreisenden, die Durchreisenden sind Warlamows Lakaien, und wenn ich an Geld zehn Millionen besitzen täte, so wäre Warlamow mein Lakai...«

»Das heißt, wieso wäre er dann dein Lakai?«

»Wieso? Na deswegen, weil es doch keinen solchen Herrn oder Millionär gibt, der nicht wegen einer Kopeke mehr die Hand eines schäbigen Juden küssen würde. Ich bin jetzt ein schäbiger und armseliger Jude, alle schauen mich an, als wäre ich ein Hund; wenn ich aber Geld hätte, dann würde Warlamow ebenso einen Narren vor mir spielen wie Moissej jetzt vor Ihnen.«

Vater Christofor und Kusmitschow wechselten Blicke. Weder der eine noch der andere hatten Solomon verstanden. Streng und trocken blickte Kusmitschow ihn an und fragte:

»Wie kannst denn du, du ausgemachter Narr, dich mit Warlamow vergleichen?«

»Ich bin noch nicht so sehr Narr, um mich mit Warlamow zu vergleichen«, entgegnete Solomon, wobei er die beiden, mit denen er sprach, spöttisch musterte. »Warlamow ist zwar ein Russe, in seiner Seele aber ist er ein schäbiger Jude; sein ganzes Leben beruht im Gelde und im Verdienen, ich aber habe mein Geld im Ofen verfeuert. Weder Geld brauche ich noch Land noch Schafe, und ich habe auch nicht nötig, daß man mich fürchtet und daß man vor mir die Mütze zieht, wenn ich vorbeifahre. Mithin bin ich gescheiter als Ihr Warlamow und sehe mehr einem Menschen gleich denn er!«

Nach einer Weile vernahm Jegoruschka durch seinen Halbschlaf, wie Solomon mit dumpfer und vor würgendem Haß heiserer Stimme lispelnd und überhastig über die Juden zu sprechen begann. Zunächst sprach er noch ein regelrechtes Russisch, hierauf aber fiel er in den Ton der Anekdotenerzähler nach jüdischem Brauch und begann derart zu sprechen wie damals in der Jahrmarktsbude, mit übertrieben jüdischem Akzent.

»Halt mal!« unterbrach ihn Vater Christofor. »Wenn dir dein Glaube nicht mehr paßt, so ändere ihn, darüber spotten aber ist Sünde; der ist der Letzte unter den Menschen, der sich über seinen Glauben lustig macht.«

»Sie kapieren rein gar nichts!« fuhr ihm. Solomon grob in die Rede. »Ich spreche zu Ihnen das eine, Sie aber kommen mit ganz was anderem...»

»Da sieht man freilich gleich, daß du ein dummer Mensch bist...« Vater Christofor seufzte. »Ich belehre dich, so gut ich es verstehe, du aber wirst zornig. Ich spreche zu dir auf die Art eines alten Mannes, ich rede dir gut zu, du aber kommst wie ein Truthahn: bla-bla-bla! Wirklich ein Kauz ...«

Moissej Moissejitsch trat ein. Unruhig blickte er Solomon an und hierauf seine Gäste, und wiederum spielte nervös die Haut auf seinem Gesicht. Jegoruschka fuhr mit dem Kopf hoch und blickte sich um; er sah dabei flüchtig Solomons Gesicht, und zwar ausgerechnet in dem Augenblick, da es ihm zu dreiviertel zugewandt war und der Schatten von seiner langen Nase grade über die ganze linke Backe fiel; das verächtliche Lächeln, das in diesen Schatten hineinspielte, die blitzenden spöttischen Augen, der hochmütige Ausdruck und seine ganze abgezauste Figur, die sich in Jegoruschkas Augen verdoppelte und vor ihnen auf und ab tanzte, bewirkten, daß er jetzt keinem Hanswurst mehr glich, sondern einem Etwas, von dem man zuweilen träumen kann. Vermutlich einem unsauberen Geist.    - Anton Tschechow, Die Steppe. Nach (tsch)

Selbsthaß (2)
 

Selbst Haß

 

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