Selbstdarstellerin   Sie schickte Scheffelkörbe von Kamelien an Schauspielerinnen, weil sie eine Leidenschaft für die von ihnen verkörperten Gestalten hatte. Die Blumen waren mit Metern von Satin gebunden und von einigen Zeilen begleitet, überschwenglich und sanft-verhalten. Männern schickte sie Bücher dutzendweise; der allgemeine Eindruck war, daß sie eine belesene Frau sei, obgleich sie m ihrem Leben vielleicht zehn Bücher gelesen hatte.

Sie war beseelt von einer ständigen Raubgier nach anderer Leute Tatsachen; verschlang Zeit und betrachtete sich als verantwortlich für historische Persönlichkeiten. In ihrem Herzen war sie liederlich und gierig. In ihrer Versessenheit, etwas darzustellen, entweihte sie den wahren Begriff der Persönlichkeit. Irgendwo um sie her war die Spannung des Zufalls, der aus dem wilden Tier das Streben des Menschen gemacht hat.

Sie war beunruhigt über die Zukunft; dies'beeinträchtigte ihr Feingefühl. Sie war eine der - auf belanglose Weise -bösartigsten Frauen ihrer Zelt, weil sie ihre Zeit nicht in Ruhe lassen und doch nie daran Teil haben konnte. Sie wollte der Grund aller Dinge sein und war daher die Ursache keines Dinges. Sie hatte jene Flüssigkeit der Sprache und Handlung, die von der göttlichen Vorsehung denen zugemessen wird, die nicht für sich selbst denken können. Sie war Meister der versüßten Phrase und der zu festen Umarmung.

Im Akt der Liebe konnte man sie sich nur vorstellen, wie sie blumenreiche Ausrufe im Stil der commedia dell'arte hervorstieß; eigentlich hätte man sie sich im Akt der Liebe überhaupt nicht vorstellen sollen. Sie selbst dachte an wenig anderes; und obschon sie sich seinem körperlichen Vollzug immer wieder unterwarf, sprach sie vom Geist der Liebe und ersehnte ihn; war jedoch unfähig, ihn zu erfassen. Niemand konnte sich ihr aufdrängen, denn sie hatte keinen Platz für Aufdringlichkeit. Diese Unzulänglichkeit machte sie rebellisch: sie konnte an keiner großen Liebe teilhaben, sondern konnte sie nur darstellen. Da ihr eigenes Gefühl ungenügend reagierte, mußte sie auf die Gefühle der Vergangenheit zurückgreifen, Geschichten großer Lieben, erlebt und berichtet, welche sie nachzuladen und nachzugenießen schien.

Wenn sie sich verliebte, so geschah es mit der vollen Wucht angestauter Unaufrichtigkeit. Sofort wurde sie zum Händler von Gefühlen aus zweiter Hand und daher unberechenbar im Preis. Wie sie aus den unvergänglichen Archiven des Sprachgebrauchs die Würde der Sprache gestohlen oder sich angeeignet hatte, so eignete sie sich die leidenschaftlichste Liebe an, die sie kannte: Noras Liebe zu Robin. Sie war ein Eindringling aus Instinkt.  - Djuna Barnes, Nachtgewächs. Frankfurt am Main 1981 (zuerst 1936)

Selbstdarstellung

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