Selbstbeschreibung   Obschon - das habe ich immer gewußt, wenn ich mich je beschreiben wollte, dann würde ich dieses Wort stets im Munde führen; höflich warnend, zaghaft fragend; gleich am Anfang erklärend, daß die Selbstbeschreibung eine Aufgabe ist, die ich nicht unmöglich nennen möchte, das wäre ja schon eine Beteuerung, sondern in einem Maße ausweichend und ungenau, daß sie sich nur mit der halb pedantischen, halb spitzfindigen Formel obschon irgendwo absondern kann. Also, obschon ich mir im Lauf nunmehr zahlreicher Jahre eine keineswegs oberflächliche Kenntnis der astronomischen Phänomene angeeignet habe, wobei ich mein Wissen vor allem aus den Werken bezog, die in einzelnen Heftchen, auf schönes Papier gedruckt und gut illustriert, in Hülle und Fülle an den Zeitungskiosken feilgeboten werden; trotzdem oder, besser, nichts desto trotz, das klingt literarischer, ist es mir nicht gelungen, mich selbst sicher zu definieren; das heißt festzulegen, ob ich ein Planet oder Mond oder ein Komet oder vielleicht sogar eine ganze Galaxie bin; oder vielleicht eine Sonne oder eine Nova oder das, was man auf eher eindrucksvolle denn begreifliche Weise ein schwarzes Loch nennt. Ich weiß, daß ich einen Raum bewohne, der sich nicht ausmessen läßt; ich weiß, daß ich von einem mäßigen, aber beständigen Schwung bewegt werde, der keinen Widerspruch duldet; in diesem unendlichen Raum sehe ich um mich herum andere Himmelskörper; einige von ihnen scheinen in einer besonderen Beziehung zu mir zu stehen, und wenn ich ein Planet wäre, dann wären sie die Monde; bald kommen sie ganz nahe, bald entfernen sie sich so weit, daß ich denke, ich werde sie nie mehr wiedersehen; aber es kann sein, daß ich der Mond eines dieser Monde bin, entweder Mond eines Mondes oder Mond eines Planeten, den ich irrtümlich als Mond verstehe. Das Wort Planet paßt allerdings in der neutralen etymologischen Bedeutung eines Körpers, der im Raum umherstreift, zu mir, wenn ich es vollkommen distanziert verwende, das heißt, ohne diese Definition irgendwie moralisch zu definieren; obschon das nicht immer bequem ist; man denke nur an das Problem der Sonne, mit dem ich mich auf jeden Fall später noch zu befassen habe.

Wenn es mir gelingt, bei diesem meinem Vorhaben zu bleiben, das ich als kosmische Beruhigung bezeichnen würde, als wollte ich für mich selbst klären, an welcher Stelle einer Karte und aufweicher Karte ich mich befinde, wenn ich meine Anstrengung nicht als eitel oder vielleicht gottlos oder leicht blasphemisch von mir weisen werde, dann muß ich mir vor allem eines deutlich vor Augen halten: daß ich nämlich, angenommen, ich sei ein Planet, in keinem Augenblick bewußt der Planet in seiner Gesamtheit bin; obschon der Planet keinen einzigen Teil hat, der ich nicht bin, falle ich nicht gleichzeitig mit dem gesamten Planeten zusammen; sondern ich bin, sagen wir, irgendein Stein oder eine jähe Felswand oder ein Fluß; oder vielleicht etwas anderes, das ich nicht sagen könnte, ja, ich nehme sogar an, daß ich zumeist nicht mehr bin als ein Ort, von dem aus ich andere Orte sehe und messe und betrachte, und obschon diese Orte nichts anderes sind als ich, mustere ich sie mit einer Art erlogener Objektivität, als sähe ich sie in Wahrheit als Fremder, was weder eine Lüge noch eine Erfindung ist, denn, daß alles Ich und zugleich diesem Ich fremd ist, gehört zu einer uralten Erfahrung.   - Giorgio Manganelli, Kometinnen und andere Abschweifungen. Berlin 1997

Selbst Beschreibung

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